Hamburg. Siegfried Sander kennt die Kunstschau documenta seit vier Jahrzehnten. Er erklärt den Wandel und gibt Besuchern einen Rat.

Am Sonnabend öffnet die documenta 15 ihre Tore in Kassel für das Publikum und zieht Kunstinteressierte aus aller Welt an. Der Hamburger Galerist Siegfried Sander, der die Multiple Box (Admiralitätsstraße 76) betreibt, kennt die documenta seit vielen Jahren. Sein Kunstlehrer Johannes Stüttgen war ein Schüler von Joseph Beuys. Bereits 1982 reiste Sander als rechte Hand von Beuys nach Kassel und half ihm, die berühmten 7000 Eichen zu pflanzen. Ein Blick auf die documenta gestern und heute.

Das Konzept der kuratierenden Künstlergruppe Ruangrupa aus Indonesien, die in diesem Jahr die documenta verantwortet, klingt ja erst mal ungewöhnlich. Es sind ausschließlich Kollektive eingeladen. Werden Sie hinfahren?

Natürlich schaue ich mir die documenta 15 an. Die Erwartung ist ja immer, dass man sich über irgendetwas dabei aufregt. Das gehört mit dazu. In der Regel ist es auch so, wenn es gute Kunst ist, dann versteht man sie nicht unbedingt. Wenn man denkt, dass man alles versteht, ist irgendetwas faul. Was den Kollektiv-Gedanken angeht, entdecke ich da immer einen falsch verstandenen erweiterten Kunstbegriff von Joseph Beuys, dass sich die Kunst um alles kümmern soll. Das ist einerseits natürlich richtig, aber man muss es eben auch können. Für die documenta hat ja immer einer seinen Kopf hingehalten, und Manfred Schneckenburger oder Jan Hoet haben natürlich auch bereits in einer Art Kollektiv gearbeitet.

Sie haben als enger Vertrauter von Joseph Beuys die 7000 Eichen mitgepflanzt, eine legendäre documenta-Aktion. Wie haben Sie das seinerzeit erlebt?

Beuys wollte 1982 eigentlich gar nicht mehr an der documenta teilnehmen, weil er als Künstler international sehr gefragt war. Rudi Fuchs, der die documenta 7 gemacht hat, hat ihn dann gedrängt, weil er wusste, der ist immer für einen Knaller gut. Beuys hat lange überlegt und dann gesagt, er möchte 7000 Eichen in Kassel pflanzen und 7000 Basaltstelen dazustellen, damit man die neu gepflanzten Bäume auch erkennt. Da hat sich dann natürlich jeder drüber aufgeregt. Joseph Beuys war ein Universalgelehrter und eben auch im Bereich der Naturwissenschaften gut aufgestellt. Er hat Grenzen erweitert und auch überschritten, was gute Kunst ausmacht.

Damals hatten Sie zehn Jahre lang auch eine Programmgalerie in Kassel. Von Ihnen ist der Satz überliefert: „Wer Kassel überlebt, der überlebt alles!“ Was meinen Sie damit?

Es gab viele kulturelle Angebote, aber keine Galerie in Kassel. Ich habe dann lernen müssen, dass eine Galerie nicht überleben kann, wenn sie nur vom regionalen Publikum lebt. Ausstellungen von Künstlern wie Walter Dahn oder Felix Droese, die ich zuerst gezeigt habe, gingen weiter nach Köln oder München und wurden da groß besprochen. Kassel war eine No-Go-Area für die überregionalen Medien außerhalb der documenta.

Die documenta war immer sehr politisch. Wie hat sich in Ihren Augen das Format gewandelt?

Der Grundgedanke von Arnold Bode war ja, dass Deutschland durch die Nazis den Anschluss an die Weltkunst verpasst hatte und dass man jetzt den Leuten zeigen wollte, was in der Zwischenzeit international passiert ist. Das war in den ersten Jahren eine regelrechte Bildungsaufgabe. Im Laufe der Zeit hat sich das immer mehr relativiert, aber trotzdem ist es im besten Sinne so etwas geworden wie ein Fest der Nationen. Dass Menschen aus aller Welt auf der documenta zusammenkommen und zeigen, wie man unterschiedlich sein kann, aber auch über die Kunst miteinander existieren kann.

Die documenta ist eine gigantische Kunstschau. Wie bereiten Sie Ihren Besuch vor?

Man muss auf jeden Fall zwei bis drei Tage Zeit mitbringen, es entspannt angehen und sich treiben lassen.

documenta 15 18.6. bis 25.9., Kassel, Infos und Tickets unter www.documenta-fifteen.de