Hamburg. Mit dem Hamburger Hans Meyer-Veden zeigt das Jenisch Haus im Rahmen der Triennale einen etwas anderen Street Photographer.

Die vergangenen Tage haben es wieder gezeigt: Wenn viele Menschen weg und raus aus der Stadt in die Ferien gefahren sind, ist Hamburg am schönsten. Eine merkliche Stille kehrt ein, die Stimmen der Vögel sind intensiver zu vernehmen als der sonst dominierende Autolärm. Das Spazieren im eigenen Viertel oder auch das Entdecken noch unbekannter Ecken wird zum Vergnügen. Hans Meyer-Veden (1931–2018) hatte dieses Herumstreifen, Beobachten, das Festhalten dieser speziellen Atmosphäre mit der Kamera zu seiner Leidenschaft gemacht (im zweiten Leben war er Fotografieprofessor an den Hochschulen in Dortmund, Kiel sowie an der HfbK).

„Er war im besten Sinne ein Flaneur“, sagt Sebastian Lux von der Stiftung F. C. Gundlach. Zusammen mit Jasmin Seck und Nicole Tiedemann-Bischop, Leiterin des Jenisch Hauses, hat er die Ausstellung „Chiffren einer Stadt“ kuratiert. Sie wird im Rahmen der Triennale der Photographie im Jenisch Haus gezeigt.

Ausstellung: Menschenleere Hamburger Straßen

Auf unzähligen Spaziergängen, oft in frühen Morgenstunden, so erzählt es die einstige Lebensgefährtin Meyer-Vedens, Hei­drun Kremser, die ebenfalls an der Ausstellung beteiligt ist, habe der Fotograf seine Motive gefunden. Indem er so lange wartete, bis kein Mensch mehr auf der Straßen zu sehen war. Und so atmen seine Aufnahmen, die er in „seinem“ Ottensen, wo er in der Arnoldstraße lebte, aber auch im Alten Land und an der Elbe, im Gängeviertel oder auf St. Pauli machte, diese spezielle Stille, ohne verlassen zu wirken. Wir sehen einen Plastikstuhl im Garten, auf dem vielleicht gerade noch jemand eine Pause gemacht hat, oder Bänke Op’n Bulln, die nach dem letzten Grog vom plötzlichen Schnee überdeckt wurden.

Ungewohnt menschenleer: die Balduintreppe an der Hafenstraße.
Ungewohnt menschenleer: die Balduintreppe an der Hafenstraße. © Hans Meyer-veden | Hans Meyer-Veden

„Seine Architekturensembles und -details, technischen Apparaturen und Anlagen im Hafen sowie die vielfältigen Formen von Natur sind geprägt durch die Abwesenheit menschlicher Existenz, aber es sind noch Spuren davon zu bemerken“, so Lux, der Meyer-Veden als Gegenpart zur gängigen Street Photography betrachtet.

Meyer-Veden: Geboren und gestorben in Hamburg

Der Fotograf habe seinen Stil mit dem „radikalen Wechsel in der Gebrauchsweise von Photographie“ erklärt, die er 1982 in der Begegnung mit der Großstadt als notwendig empfand: Weg von der „Ästhetik eines repräsentativen Beobachtens“ hin zu einer „auf das Ganze gerichteten Beobachtung“. Bilder von der Thadenstraße, dem Lornsenplatz, einem im Nebel liegenden Block in der Speicherstadt, der Balduintreppe an der Hafenstraße oder von Park Fiction (eines der letzten aufgenommen Bilder des Fotografen) werden auf diese Weise zu Hamburger Ikonen überhöht.

Im richtigen Moment den Auslöser ­gedrückt: Bahrenfelder Straße.
Im richtigen Moment den Auslöser ­gedrückt: Bahrenfelder Straße. © Hans Meyer-veden | Hans Meyer-Veden

Für Hans Meyer-Veden, der in Stade geboren wurde und von 1982 bis zu seinem Tod in Ottensen gelebt hatte, waren seine Bilder „Markierungen eines Netzwerks von Wegen, Orten und Augenblicken. Spuren einer Vergewisserung. Grabungen nach dem Wie des eigenen Lebens, nach dem Wo und Warum“. Die Aufnahmen sollten dazu auffordern, „sie mit dem Verstand zu betrachten, sie zu lesen und sie zu entziffern“ – Chiffren einer Stadt.

Ausstellung: Vom Verfall zur Lust an Transformation

Dabei ist das „alte“ Ottensen von vor rund 40 Jahren kaum mehr wiederzuerkennen, hat die Patina des Kaputten an Altbauten und leer stehenden Gebäuden Platz gemacht für schmucke, aufwendig sanierte Luxusbauten mit umzäunten Innenhöfen. Das Grün, das in Meyer-Vedens Arbeiten durch bröckelnde Mauerritzen dringt, ganze Eingänge umrankt und Wege überwuchert, wurde zurückgedrängt und zurechtgestutzt.

Doch auch diesen Wandel hätte der Fotograf vermutlich mit derselben Hingabe dokumentiert, sah er doch seine Bilder als „Archiv der sozialen Prozesse einer Stadtgesellschaft, in denen die Melancholie des Verfalls durch eine ausgesprochene Lust an der Transformation ins Positive gewendet wird“.

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  • Die rund 100 Handabzüge des Fotografen werden ergänzt durch drei künstlerische Interventionen, die die Motive und Aufnahmen Meyer-Vedens perspektivisch erweitern. Eine Werkgruppe des Fotografen Michael Meyborg aus der Zeit zwischen 1979 und 1995 zeigt Bilder mit aus der Türkei stammenden Migranten und Asylbewerbern in Hamburg, von denen viele in Altona und Ottensen sesshaft wurden.

    Der Film „Terrible Houses in Danger“ der mpz Filmgruppe fängt den Protest der Hausbesetzer an der Hafenstraße bis 1985 ein. Die seit 1999 entstandenen Collage-Arbeiten des Street-Art-Künstlers TONA, die Fotografien von Häusern mit Ausschnitten von Plakaten, Aufklebern an Laternenmasten und Graffiti kombinieren, zeichnen ein lebendiges Bild der Stadt und laden zur Auseinandersetzung mit der urbanen Gesellschaft am Fluss ein. Im Rahmen der Altonale können Besucherinnen und Besucher beim Live-Painting von TONA am Altonaer Museum dabei sein (19.6., 15.00, „pay what you want“).

    „Chiffren einer Stadt. Fotografien von Hans Meyer-Veden“ bis 13.2.2023, Jenisch Haus (S Klein Flottbek), Baron-Voght-Straße 50, Mo, Mi–So 11.00–18.00, Eintritt 7,-/5,- (erm.), www.shmh.de