Hamburg. Von Walen und MeerJungsFrauen – Hamburg im Kinderbuch: Im Zentrum steht ein Klassiker des Hamburger Autors Rüdiger Stoye.
„Volle Fahrt voraus!“ – das ist mal eine Ansage in heutiger Zeit! Das Kinderbuchhaus im Altonaer Museum geht mit einer neuen, sehr vielversprechenden Sonderausstellung in diesen Spätsommer. Von Montag an dreht sich in den dort gezeigten wunderschön illustrierten Geschichten alles um Hamburg, das Meer und die Elbe. Dieses fein gesponnene Seemanns- und Seefrauengarn stammt aus der gleichnamigen Anthologie der 38 Elbautorinnen und -autoren, eines 2017 gegründeten Netzwerks für Kinder- und Jugendbuchautorinnen und -autoren, das „die Fantasie beflügeln und Leseförderung betreiben“ will.
„Die Ausstellung zeigt, welch große Qualität und Vielfalt Hamburg im Bereich der Illustrationskunst zu bieten hat, wie viele unterschiedliche Stile und Aspekte es bei den Geschichten rund ums Wasser gibt“, sagt Dagmar Gausmann, Leiterin des Kinderbuchhauses. „Auch heutige Bezüge zu Schifffahrt und Ökologie spielen natürlich eine Rolle.“
Kinderbuch von Hamburger Autor feiert Geburtstag
Der Titel „Von Walen und Meerjung(s)frauen“ bezieht sich auf eine Figur und ist als augenzwinkernder Kommentar zur aktuellen Genderdebatte zu verstehen. Und er ist inhaltlicher Brückenschlag zu einem ganz besonderen Buch, das in diesem Jahr 50. Geburtstag feiert: „Der Wal im Wasserturm“ von Rüdiger Stoye. Der in Hamburg lebende freie Künstler und vielfach ausgezeichnete Kinderbuchautor bildete in seiner fast 20-jährigen Lehrtätigkeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) viele heute bekannte Buchillustratorinnen und -illustratoren aus, darunter Aljoscha Blau, Eva Muggenthaler und Henriette Sauvant sowie auch einige der Elbautorinnen und -autoren.
Der in Templin in der Uckermark geborene Stoye siedelte 1957 in die Bundesrepublik über, studierte zunächst in Münster Grafik-Design und Illustration und wechselte in den 1960er-Jahren an die Hochschule für bildende Künste Hamburg. Fast täglich sei er damals mit der Bahn aus der Stadt zu seiner Bleibe im Niendorfer Gehege am Wasserturm in Lokstedt vorbeigefahren, und dieser Turm habe ihn „irgendwie angesehen“. „Abends wurde das Gebäude von der Sonne angestrahlt, und ich dachte, da müsste mal eine Geschichte drin spielen“, sagt Rüdiger Stoye.
Ein Junge fängt beim Angeln an der Elbe einen Wal
Es sollte aber noch einige Zeit dauern, bis es dazu kam. „Irgendwann entdeckte ich einen Stich aus dem Mittelalter über einen Wal, der die Elbe aufwärtsgeschwommen und von Hamburgern in einer großen Aktion gerettet worden war. Dies inspirierte mich zu den ersten Entwürfen.“ Die Fenster seiner Souterrainwohnung in einem Haus mitten im Gehege lagen auf gleicher Höhe wie der Waldboden, im damals noch nicht eingezäunten Waldstück kamen häufig Rehe, Hirsche und Wildschweine vorbei. „In dieser besonderen Atmosphäre konnte ich am besten zeichnen.“
Die Geschichte, die Rüdiger Stoye in dem Buch erzählt, ist genauso surreal, wie es die Zeichnungen sind: Ein kleiner Junge namens Jan will bei schönem Wetter in der Elbe angeln. Neben vielen kleinen Fischen geht ihm auch ein besonderer, dunkelblau schimmernder Fisch an den Haken. Kein Karpfen, definitiv, und auch die eingehende Prüfung im Zoologischen Institut kommt nur zu einer Vermutung. „Weißt du was?“, sagt Jans Vater, Wasserturmwärter in Lokstedt, „wir setzen den Dunkelblauen hier in das große Wasserbecken. Aber niemand darf das wissen. So was ist natürlich streng verboten. – Dann werden wir ja bald merken, ob es wirklich ein Wal ist, nicht?“ So kam der Wal in den Wasserturm. Später, als der Wal so groß geworden ist, dass er die Wasservorräte des Turmes verdrängt, wird Jan seinen riesigen Freund mithilfe eines Hubschrauberpiloten abtransportieren – zurück in die Nordsee.
Hamburger Verlag Broschek veröffentlichte das Kinderbuch
Viele Verlage interessierten sich für seine Geschichte; schließlich bekam der damalige Hamburger Verlag Broschek den Zuschlag. 1971 erschien die erste Ausgabe. Das Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt und ist ein Kinderbuchklassiker, nicht nur in Deutschland. Auch in Japan ist „Der Wal im Wasserturm“ sehr beliebt. 2008 erschien eine Neuausgabe im Moritz Verlag. Zu Ehren des Autors wird es in der Ausstellung eine besondere Installation rund um den berühmten Lokstedter Wasserturm geben. Und es ist ein umfangreiches Begleitprogramm mit Werkstätten zu Buchillustration, aber auch zum Philosophieren und Diskutieren entwickelt worden. „Wir hoffen, dass wir bald wieder Schulklassen empfangen dürfen“, sagt Dagmar Gausmann.
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Rüdiger Stoye hat noch viele weitere Kinderbücher geschrieben und auch Erwachsenenliteratur illustriert; bis heute sitzt der 83-Jährige gerne am Schreibtisch in seinem Atelier an der Eppendorfer Hegestraße, um zu zeichnen. Während „Der Wal im Wasserturm“ eine gut vorzulesende Geschichte für Vier- bis Sechsjährige ist, kommen andere wie „In der Dachkammer brennt noch Licht“ oder „Wie der Hund Putzi seinem Herrchen in den Po biss“ unheimlicher oder hintersinniger daher.
Hamburger Rüdiger Stoye vom Geheimnisvolles fasziniert
Ob er damit eine Botschaft verbinde, werde er als in den politisch aktiven 60ern sozialisierter Autor oft gefragt. „Manche lesen in den ,Wal‘ eine ökologische Botschaft hinein, sie sehen dann darin die bedrohte Umwelt, die knapper werdenden Ressourcen oder die Selbstbefreiung des Tieres. In der Tat lässt sich über solche Geschichten viel Empathie bei Kindern erzeugen. Aber mich hat vielmehr von klein auf das Bedrohliche und Geheimnisvolle in der Kunst fasziniert wie in den Bildern von Max Beckmann oder Hieronymus Bosch. Dies hat sich bis in die Erwachsenenwelt bei mir fortgepflanzt.“
„Von Walen und Meerjung(s)frauen“, ab 16.8., Kinderbuchhaus im Altonaer Museum (S Altona), Museumstraße 23, Mo/Mi–Fr 10.00–17.00, Sa/So 10.00–18.00, Eintritt (gilt auch für das gesamte Museum) 8,50/5,- (erm.), für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren frei, Internet: www.kinderbuchhaus.de