Hamburg. Tenor Christoph Prégardien und das Barockensemble La Centifolia gaben im Rahmen des SHMF ein ergreifendes Kirchenkonzert.

„Ich kann nicht mehr“, singt Jephtha, der seine über alles geliebte Tochter sehenden Auges dem Feind überantwortet. Wobei, singen? Er stößt die Silben einzeln aus, dem Publikum stockt der Atem, erst nach einer Ewigkeit hauchen die Instrumente zwei abschließende Akkorde. Die Zeit steht still.

Mit einfachsten Mitteln höchste dramatische Wirkung zu erzielen, das ist die Zauberkunst von Georg Friedrich Händels Musiktheater, sei es Oper oder – wie im Falle von „Jephtha“ – Oratorium. Der Tenor Christoph Prégardien und das Barockensemble La Centifolia sind mit einem fast reinen Händel-Programm in die Blankeneser Kirche gekommen. Für die erste Konzerthälfte haben sie Arien aus den Opern „Rodelinda“ und „Tamerlano“ sowie Instrumentalsätze Händels zu einer eigenen Geschichte zusammengebunden.

Konzert Hamburg: In der Blankeneser Kirche stockt dem Publikum der Atem

Händel hatte als Komponist einen immensen Output, er musste ja dem Londoner Musikbetrieb dauernd neue Opern liefern, um in dem Konkurrenzkampf wirtschaftlich zu bestehen. Mag auch die Machart oft ähnlich sein – das Genie des Komponisten zeigt sich in der Vielfalt der Stimmungen und Gefühlslagen, Klangfarben und Effekte. Zumal wenn eine Gruppe so aus einem Guss musiziert wie La Centifolia unter ihrer Gründerin und Leiterin, der Barockgeigerin Leila Schayegh. Schon in der Ouvertüre zu „Rodelinda“ fällt auf, wie schwungvoll und entspannt aufmerksam sie spielen, wie diskret sie virtuose Verzierungen einbauen, was für einen milden Klang die paar wenigen Violinen gemeinsam finden. Ein Genuss.

Prégardien schaut auf eine jahrzehntelange Karriere als lyrischer Tenor besonders in der Originalklangszene zurück. Jenseits der 60 wird bei Kollegen schon mal das Vibrato leierig oder der Klang rissig. Nichts davon bei ihm. In der Arie „Forte e lieto“ aus „Tamerlano“ führt er die Stimme mustergültig schlank und legt sogar ein wenig Metall in sein Timbre für den Mann, der verzweifelt die eigene Tapferkeit besingt.

Christoph Prégardien zeichnet die Erregungszustände in allen Nuancen nach

Prégardien hat Stücke ausgewählt, die ihm die hohen Lagen ersparen, und natürlich kennt er die Kniffe, wie man unangenehme Übergänge kaschiert. Entgegen dem landläufigen Vorurteil hilft Intelligenz eben auch bei Tenören. Vor allem aber gestaltet er subtil, zeichnet die Erregungszustände zwischen Zorn und Resignation in allen Nuancen nach und beherrscht die barocke Stilistik mühelos. Dass manchmal eine Koloratur nicht ganz sitzt – geschenkt.

Wenn die Blankeneser Kirche sommerlich hell und brutwarm ist wie so oft bei den Konzerten des Schleswig-Holstein Musik Festivals, ist das der Konzentration nicht immer zuträglich. Auch an diesem Abend dauert es ein wenig, bis die piekfeine Dramaturgie sich durchsetzen kann und die Menschen darauf verzichten hineinzuklatschen.

Konzert Hamburg: Was für ein herzergreifendes Ende

Nach der Pause hat die Konzertmeisterin Leila Schayegh ihren Auftritt als Solistin in dem Concerto e-Moll von Telemann. Im ersten Satz klingt ihr Sechzehntel-Feuerwerk manchmal ein wenig scharf, aber das Andante singt sie mit großer Ruhe aus.

Und dann kommt noch einmal Jephtha zu Wort, Titelheld des gleichnamigen Oratoriums, der wegen eines Eids das eigene Kind opfern muss: „Tragt sie, ihr Engel, durch den Himmel“, fleht er. Die Streicher schweben himmelwärts, Prégardien singt das zarteste Piano dazu, das man sich nur wünschen kann – und ganz oben auf den Schlussakkord setzt das Cembalo einen silbrigen Triller. Was für ein herzergreifendes Ende eines sehr besonderen Konzerts.