Keitum auf Sylt. Dänisches Weltballett mit Hamburger Beteiligung: Die Sommergala in Keitum glänzte mit vielen Gästen. Dann gab es einen Bruch.
Ausnahmsweise ging es auf Sylt am Donnerstagabend selbst für Berühmtheiten und Halbprominente weniger ums Gesehenwerden als ums Sehen. Zu gucken gab es schließlich das 2008 vom dänischen Tenor Jens-Christian Wandt gegründete Weltballett „Verdensballetten“, das schon zum sechsten Mal für rund 1200 Gäste eine Sommergala auf dem Gelände des Keitumer Hotels Benen-Diken-Hof veranstaltete.
Das Ensemble des Weltballetts vereint Talente des Royal Ballets of London, des Staatsballetts Berlin, des Norwegischen Nationalballetts und des Königlichen Dänischen Balletts. Als stark bejubelter Stammgast präsentierte in Keitum auch das Bundesjugendballett zwei Choreografien, erstmalig auf der Insel trat zudem das frischgegründete Hamburger Kammerballett auf.
Ballett auf Sylt: Verdensballetten aus Dänemark lässt alle Welt auf der Insel tanzen
Inselbesucher auf hölzernen Klappstühlen, vor ihnen Ballett der Weltklasse, dahinter der Sylter Sonnenuntergang, zwischendurch ein Rosé – man könnte meinen, die Welt wäre ein Ort der reinen Harmonie und des niemals endenden Amüsements. Doch das ist sie nicht. Selbst eine Ballett-Sommergala auf dem Benen-Diken-Hof kommt in diesen Zeiten zu Recht nicht daran vorbei, die Krisen unserer Zeit zu vertanzen. Mit „Les Adieux“ zum Beispiel, einem Werk über zwei Abschiede: den Mann als Soldaten an die Front ziehen zu sehen und ihm am Sarg die letzte Ehre zu erweisen.
Choreografiert vom Kanadier Eric Gauthier und zu einer für Streicher und Gitarre arrangierten Version des Metallica-Klassikers „Nothing Else Matters“ ist das Stück wie gemacht für ein Pas de deux Marian Walters und Iana Salenkos vom Staatsballett Berlin. Salenko, aufgewachsen in Kiew, gilt als berühmteste Balletttänzerin der Ukraine. Ihre Körpersprache strotzt vor Kraft und Beherrschung. In „Les Adieux“ setzten sie und ihr Nicht-nur-Tanz-Partner Walter mit einer wenig subtilen ukrainischen Flagge als Requisit ein deutliches künstlerisches Zeichen gegen den russischen Aggressor und das Sterben Tausender junger Männer an der Front.
Bundesjugendballett aus Hamburg zeigt „Infinite Identities“ – Tanz als Kommunikation
Thematisch tanzen kann auch das Bundesjugendballett, nicht nur auf einem Schlepper zum Hafengeburtstag. Die Kompagnie, ein lang gehegter und 2011 in Erfüllung gegangener Traum John Neumeiers, besteht aus acht 18- bis 23-jährigen internationalen Tanztalenten und wird künstlerisch sowie pädagogisch von Kevin Haigen geleitet.
Auf dem Benen-Diken-Hof bekam das Bundesjugendballett, zum fünften Mal dabei, gleich zwei Programmpunkte zugestanden. In einem Versatzstück aus „Infinite Identities“ vertanzten Ayumi Kato, Moisés Romero und João Vitor Santana zu Gustav Mahlers Klavierquartettsatz in a-Moll das Abstoßen und Anziehen, das Suchen und Finden in einer Ménage-à-trois. Während ihr der eine unter dem Rock hindurchwuselt, blickt sie dem zweiten unbemerkt tief in die Augen: Ein bildliches Fang- und Versteckspiel war das, ein Tanz als Kommunikation.
Ihren zweiten Auftritt „Für meinen lieben Freund Anton“ bestritt das Bundesjugendballett als Kollektiv zu Wolfgang Amadeus Mozarts Klarinettenkonzert II. Adagio. Konzipiert haben Neumeier und Haigen das Exzerpt in Anlehnung an die „Bach Suite 2“. Als Klarinettist trat Jay Gummert auf, so glasklar und exakt spielend, dass man sich fragte, ob die Musik nicht doch aus der Konserve kommt. Apropos on point: Eine Spitzentanz-lastige typisch Neumeier’sche Gruppenchoreografie legte das Bundesjugendballett dazu aufs Parkett.
Bruch im Programm: Hamburger Kammerballett mit hochmoderner Choreografie
Aber nicht nur das. „Für meinen lieben Freund Anton“, das spirituell anmutende, beinahe reinigende Intermezzo mit barocken Untertönen, fungierte auch als kontrastierende Ergänzung, vielleicht „Haube“, wie der künstlerische Leiter Haigen es formulierte, für den vorangegangenen Auftritt des Hamburger Kammerballetts, der an diesem Abend – ohne werten zu wollen – ziemlich aus dem Rahmen fiel.
Mit Ausschnitten aus dem „Requiem“, choreografiert von Kammerballettgründer Edvin Revazov, sorgte die Kompagnie für einen harten künstlerischen Bruch an diesem weitgehend beschwingten Ballettabend. Hochmoderne Bewegungsabläufe, für das Auge eher ungewohnt, brachten die sieben Tänzerinnen und Tänzer des Kammerballetts in schwarzen Sakkos auf die Bühne. Dazu ertönten weitgehend dissonante Klänge aus der Feder von Henryk Mikołaj Górecki.
Das ernste Stück hallte nach – und traf den ideellen Kern des Kammerballetts. Die neue Kompagnie nämlich rief Revazov speziell für vor dem Ukrainekrieg geflüchtete Künstler ins Leben. Sie ist an das Ballettzentrum John Neumeier angegliedert. Finanziert hat den Sylter Auftritt des Kammerballetts die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper.
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Ballett auf Sylt: trotz wilder Mischung gut verdaulich
Eine Gala ist kein Handlungsballett. Doch was sie an Mitreißvermögen einbüßt, kann sie im besten Fall mit Mannigfaltigkeit wettmachen. Und die gab es: Schunkelei zum dänischen Opernhit und groovige Beats der US-amerikanischen Band Vulfpeck zu Funk-Ballett im rein männlichen Pas de deux wechselten sich mit Klassikern wie dem Rosenadagio aus Dornröschen oder dem Pas de deux „Weißer Schwan“ aus Schwanensee (jeweils Tschaikowsky) ab.
An „An der schönen blauen Donau“ durften sich die Zuschauer ebenso laben wie an einer spöttisch-lasziven Stepptanzeinlage des künstlerischen Leiters des Verdensballetten, Steven McRae. Quasi intervenierend fing Sofie Elkjær Jensen, Sopranistin am Königlichen Theater in Kopenhagen, die wechselgebadeten Gefühle hin und wieder mit Opern- und Musicalklassikern auf. Alles in allem: Trotz wilder Mischung eher leicht verdaulich als auf den Magen schlagend, wie sollte es auch anders sein in der Sylter Sommerfrische.