Hamburg. Das Schleswig-Holstein Musik Festival brachte das Chineke! Orchestra aus London in die Elbphilharmonie. Durchaus gewagt.

Schon der Begrüßungsapplaus war besonders. Stärker, aufmerksamer als sonst. Die Kontrabassistin Chi-chi Nwanoku hatte berichtet, aus welchen Beweggründen sie 2015 das Chineke! Orchestra in London gegründet hatte – viel mehr Diversität, mehr Sichtbarkeit und mehr Hörbarkeit für Musik, Musikerinnen und Musiker, die als People of Colour deutlicher wahrgenommen und repräsentiert werden wollen, das war die freundliche, bestimmte Forderung.

Das Schleswig-Holstein Musik Festival hatte das Jugendorchester deswegen nicht in der nächstlauschigen Scheune in Dithmarschen, sondern in der Elbphilharmonie platziert, mit einem eindeutigen Programm: drei nicht weiße Komponistinnen und Komponisten. Einer davon als Klaviersolist auf der Bühne. Mit drei Werken, deren Formate im Klassik-Kanon stehen (Suite, Sinfonie), aber andere Blickwinkel vertragen können.

Chineke! in der Elbphilharmonie – Jugendorchester mit klarer politischer Botschaft

Wichtige Idee, konsequente Umsetzung. Doch dieser Abend zeigte auch, wo sowohl das Orchester als auch das eine oder andere zu entdeckende Stück seine Obergrenzen hatte. Beim ersten Auftritt vor einem Jahr hatte Chineke! nur einen Abschnitt aus „Othello“-Suite des Londoners Samuel Coleridge-Taylor als Zugabe präsentiert. Nun waren es alle fünf Sätze, dramatisch aufgeschäumte Schauspielmusik mit Goldrand, bereits hollywoodreif, obwohl der erste Tonfilm 1909 dort noch weit entfernt war.

Das Chineke! Orchestra und sein Dirigent Kellen Grey waren nur bedingt auf die anspruchsvolle Akustik der Elbphilharmonie eingestellt.
Das Chineke! Orchestra und sein Dirigent Kellen Grey waren nur bedingt auf die anspruchsvolle Akustik der Elbphilharmonie eingestellt. © Sophia Hegewald | sophia hegewald

Dem Orchester und seinem Dirigenten Kellen Grey widerfuhr dabei allerdings, was schon einige andere euphorisch aufgeregte Gast-Ensembles auf dieser Bühne akustisch erleben durften: Sie ist kompliziert, wenn man sich nicht ausreichend auf sie einstellt.

Chineke! in der Elbphilharmonie – interessante Details gingen im Gesamtklang verloren

Sicher interessante Details gingen im Gesamtklang verloren, erst recht in der vielschichtigeren 3. Sinfonie der US-Amerikanerin Florence Price, deren Musik in den letzten Jahren eine würdigende Renaissance erleben durfte. Dort verrutschte immer wieder die Balance zwischen den Instrumentengruppen, schon die harmonisch interessante Einleitung des ersten Satzes blieb zu vernebelt, so mittelprächtig gut gemeint blieb es.

Ein Gute-Laune-Bömbchen zwischen diesen „Klassikern“ war „Callaloo – A Caribbean Suite“ des Kanadiers Stewart Goodyear. Der hatte sich den Klavierpart, gespickt bis überladen mit Show und Spaß, selbst passend geschrieben und hielt damit, was der Titel versprach: jede Menge Rhythmus (tolle Percussion-Abteilung!), eine rasante Mischung aus Karneval und Latin Jazz. Auch mal schön.

Einspielungen: Chineke! Orchestra „Coleridge-Taylor“ (Decca, CD ca. 22 Euro). Florence Price „Symphonies 1 & 3“ Philadelphia Orchestra, Yannick Nézet-Séguin (DG, CD ca. 17 Euro)