Hamburg. Nicht nur die internationale Musikwelt, auch die Abendblatt-Redaktion trauert um Tina Turner. Was uns ganz persönlich mit ihr verbindet.

Die Stimme, natürlich. Die Haare, ikonisch. Und diese Beine! Vor allem aber: die unglaubliche, mitreißende Energie. Man musste nicht einmal Fan ihrer Musik sein, um sich von dieser Frau beeindrucken zu lassen. Am Mittwoch ist der Weltstar Tina Turner im Alter von 83 Jahren in der Schweiz gestorben. Über Jahrzehnte gehörte die Königin des Soul, Rock’n‘Roll und Pop zu unserem musikalischen Leben. Ihre Persönlichkeit, ihr Charisma, ihr Einfluss auf nachfolgende Künstlerinnen – und auf alle, die mit ihren Songs groß geworden sind. Das gilt selbstverständlich auch für uns in der Abendblatt-Redaktion. Ein ganz persönlicher Erinnerungsreigen.

Was sie mit ihrer Stimme in eine Zeile legte, zog den Boden unter den Füßen weg

It’s The Singer, Not The Song. „Private Dancer“, geschrieben von Dire-Straits-Kopf Mark Knopfler, ist ja eigentlich kein besonders raffiniertes Lied: ein bisschen Mainstreampop, ein bisschen Soul, ein bisschen Blues für Arme und ein sentimentaler Text aus männlicher Perspektive über die innere Leere einer Stripperin. Aber was Tina Turner 1984 aus dieser Männerfantasie machte, war sensationell.

Weil Turner sich nicht auf ihrer Soul-Stimme ausruhte, sondern sich traute, brüchig zu singen, zu krächzen und zu heulen, und den 08/15-Text so zu ihrer eigenen Story machte, zur Geschichte eines Menschen, der die Gewalt der Entertainment-Industrie am eigenen Leib erfahren hatte. „Any Old Music Will Do“ sang sie, die Zeile brauchte sie für den Reim, aber was sie mit ihrer Stimme in diese Zeile legte, das zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Knopfler, anscheinend ohne jede Ahnung von Sexarbeit, schrieb eine Kolportage, aber Turner sang ein Lied über die Knochenmühle Pop, eine große Selbstermächtigung, der Moment, der Turner endgültig als Solokünstlerin zum Superstar machte. Zu Recht. (Falk Schreiber)

Der Blick in eine ganze neue Welt – Dank Tina Turner

1972 erschien die Single „Up In Heah“ von Ike & Tina Turner.
1972 erschien die Single „Up In Heah“ von Ike & Tina Turner. © United Artists Records

Der letzte Schultag vor den Sommerferien war nicht nur so besonders, weil im Anschluss sechs Wochen Freibad-Freiheit begannen, sondern auch, weil es Zeugnisgeld gab. Für mich als musikinfizierten Zwölfjährigen hieß das Mitte der Siebziger: Auf schnellstem Weg in die Schallplattenabteilung des Tostedter Kaufhauses Bade. Große Sprünge ließen sich mit 20 D-Mark zwar nicht machen, aber für ein paar Singles aus der Schnäppchenkiste reichte es, und da sah ich sie zum ersten Mal: Tina Turners Single „Up In Heah“, die sie mit ihrem Mann Ike aufgenommen hatte.

Schon das Cover zog mich magisch an: Eine Konzertszene, Tina mit langen dunklen Haaren und glitzerndem Netzoberteil, Ike (der sich später als brutaler Schläger herausstellte) schaut respektvoll von der Seite. Auch wenn ich den Song gar nicht kannte, diese Platte musste ich haben. Und war vollständig gepackt, als sie dann auf meinem kleinen Dual-Plattenspieler lief. Diese Stimme voll unbändiger Kraft und Sinnlichkeit – eine ganz neue Welt! Danach war ich für den weichgespülten Hitparaden-Pop verloren. Die Single habe ich immer noch, und auch wenn die Jahrzehnte viele Kratzer im Vinyl hinterlassen haben: Sie ist bis heute ein Juwel meiner Sammlung. (Holger True)

Tina Turner: Hoffentlich ist sie auch für meine Tochter ein Vorbild

„We Don’t Need Another Hero“, sang Tina Turner und lag damit falsch. Wir brauchen viel mehr Heldinnen und Vorbilder wie sie. Es gibt wohl wenig Beispiele für den Fall in tiefste Tiefen, um von dort aus in ungeahnte Höhen aufzusteigen. „River Deep, Mountain High“ nimmt diese Achterbahnfahrt lyrisch auf mit der Zugabe, dass hinter diesem Song einer der durchgeknallten Tyrannen steht, die sich an Tinas Talent bereicherten, in diesem Fall nicht Ike Turner, sondern Phil Spector.

Diese Typen und viele andere in der Würstchenparty Popgeschäft zu überleben, abzuschütteln und zu überflügeln und die Tür weit aufzustoßen für Beyoncé, Rihanna, Lizzo und viele weitere Künstlerinnen, ist ein so berührendes wie mitreißendes Beispiel, dass mich immer wieder inspiriert hat und hoffentlich auch meine Tochter inspirieren wird. „Du kannst es schaffen, du musst nur an dich glauben“ ist eigentlich nur hohles Kalenderspruch-Geblubber. Aber mit Tina ergibt das alles Sinn. (Tino Lange)

Tina Turner: eine kraftvolle Ahnung dessen, was alles möglich ist

In mein Leben – und vermutlich in das vieler Menschen hierzulande – kam Tina Turner über „Wetten, dass..?‟. Und das große Lagerfeuer der deutschen Fernsehkultur brachte die Sängerin gehörig zum Lodern. Ganze sechs Mal war sie bis 2004 in der Unterhaltungsshow zu Gast. Angefangen im März 1985 mit „I Can’t Stand The Rain‟, das von Frank Elstner nebst Jean-Paul Belmondo angesagt wurde. Der Kamera wurde extra die Optik einer nassen Fensterscheibe verpasst. Dann ein Schwenk.

Und Tina Turner trat vor das deutsche TV-Publikum. Sehr selbstverständlich trug sie zu Hemd und Jacket schlichtweg eine Strumpfhose und Stöckelschuhe. Das fand ich damals als Zehnjährige irritierend und beeindruckend gleichermaßen. Dann diese Art sich zu bewegen, kantig und impulsiv und so ganz eigen. Und natürlich diese Stimme, aus den tiefsten Tiefen. Rau und leidenschaftlich. Tina Turner war für mich eine kraftvolle Ahnung dessen, was alles möglich ist. Wie stolz es sich durchs Leben gehen lässt. Auf Konventionen pfeifend, mit ihnen spielend, kunstvoll und optimistisch. (Birgit Reuther)

Tina Turner und Thomas Gottschalk 1996 in einer „Wetten, dass..?
Tina Turner und Thomas Gottschalk 1996 in einer „Wetten, dass..?"-Sendung. © dpa | Werner Getzmann

Eine Frau, die nur so strotzte vor Kraft und Lässigkeit zugleich

Allein dieses asymmetrische Satin-Kleid! Rechts ganz Abendrobe, links nur von spärlichen Stoffstreifen zusammengehalten. Darin eine Frau, die nur so strotzt vor Kraft und Lässigkeit zugleich. Die toupierte Löwenmähne ist auch so Spiel mit Gegensätzen, doch der schönste kommt gleich die Showtreppe herunter: David Bowie, jungenhaft schmal, im strahlend weißen Dinner Jacket. Minimale Bewegung verströmt maximale Erotik.

Das 08/15-Reggae-Riff kündigt „Tonight“ an. Ein Bowie-Song. Tina spielt ihn auf ihrer „Private Dancer“-Tournee. Beide strahlen, strahlen, strahlen, zwei Fixsterne mit Katzenaugen – und beginnen zögerlich zu tanzen. Bowie flüstert ihr einen Scherz ins Ohr, vielleicht „Vorsicht, meine Frau guckt zu!“ Sie lacht, und ein Song wird wahr: totale Entspannung, Einssein mit allen und dem einen Anderen: „Ich werde dich lieben bis ich sterbe, ich werde dich im Himmel sehen, alles wird gut sein, heut Abend.“ Ach, Tina – Tschüs! (Jens Dirksen)

Mick Jagger wird Tina nie vergessen. Und ich auch nicht

Tina Turner und Mick Jagger im Jahr 1987 gemeinsam auf der Bühne.
Tina Turner und Mick Jagger im Jahr 1987 gemeinsam auf der Bühne. © PHOTOlink/Courtesy Everett Collection via www.imago-images.de

Als ich letztes Jahr zum wahrscheinlich letzten Mal live gesehen habe, wie Mick Jagger von den Rolling Stones mit 78 Jahren arschwackelnd über die Bühne gockelte und jeden, aber auch jeden im verdammten Stadion bis in den Oberrang elektrisierte, dachte ich: Wer noch auf dem Planeten Showbiz hat diese Aura? Natürlich Tina! Mit nicht mal 20 Jahren sah ich Anna Mae Bullock zum ersten Mal auf der Bühne und hörte diese Röhre.

Was macht die Oma da? Das fragte ich mich. Tina war 47. Sie hatte alles getan, gesehen und erlitten, was im Rock ‘n‘ Roll und seinen Begleiterscheinungen denkbar ist. Und doch startete sie in einer zweiten Karriere durch, die unvergleichbar ist. Wenn nicht der verdammte Krebs, der Schlaganfall, die Folgeleiden gewesen wären – Tina und Mick hätten heute gemeinsam noch jeden Hit-Bubi niedergewackelt. Er schrieb jetzt auf Twitter: „She helped me so much when I was young and I will never forget her.“ Irgendwie geht’s mir auch so. (Christoph Rybarczyk)

Tina Turner: Jeder wurde noch ein wenig größer neben ihr

Tina Turner war eine Sängerin, die mühelos jede Bühne allein mit ihrer Stimme und ihrer Kunst ausfüllte. Manchmal jedoch führte es auch zu historischen Momenten, wenn sie sie teilte. Und das tat sie häufig und gerne. Und keineswegs nur mit ihren berühmtesten Duett-Partnern David Bowie und Mick Jagger. Jeder wurde noch ein wenig größer neben ihr – und sie selbst glänzte noch ein wenig schillernder. Männer waren beim gesanglichen Dialog ihre bevorzugten Partner (außer Beyoncé 2008) – Großkaliber natürlich, wie sollten sie sonst neben ihr bestehen?

1982 holte sie Chuck Berry anlässlich einer Show in Hollywood auf die Bühne und es kam zu einer legendären Live-Version seines Hits „Rock and Roll Music“. Mit Elton John stimmte sie 1995 „The Bitch Is Back“ an – später stritten sie, weil sie ihn angeblich beleidigt habe. Unvergessen aber ist die schwüle Hymne „In Your Wildest Dreams“, die so einschmeichelnd nach Champagner bei Kerzenschein klang und für die sie sich im Studio mit dem Brumm-Bass von Barry White zusammentat. Es musste eben nicht immer purer Rock ‘n’ Roll sein. (Annette Stiekele)