Hamburg. Die Dirigenten-Legende, das NDR Orchester und Geiger Leonidas Kavakos gaben ein so beseeltes wie umjubeltes Konzert.
Zart ist er geworden. Herbert Blomstedt, demnächst 96 Jahre alt und dem NDR Elbphilharmonie Orchester seit seiner Zeit als Chefdirigent in den 90er-Jahren freundschaftlich verbunden, kommt am Arm von Leonidas Kavakos auf die Bühne. Warmer Applaus empfängt die beiden.
Kavakos ist der Solist beim Violinkonzert von Brahms. In der ausgedehnten Einleitung entfaltet das Orchester milde leuchtenden Klang. Kontrastierungen und Zuspitzungen bleiben aus, Gelassenheit prägt den Gestus. Bisweilen allerdings hemmen die Übergänge in dem dichten Gewebe den Fluss. Blomstedt dirigiert im Sitzen, macht nur kleine Handbewegungen und gibt wenige Impulse, und das ist bei einem romantischen Solokonzert mit all den Tempoänderungen und entsprechend hohem Abstimmungsbedarf problematisch.
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Sie machen das Beste daraus. Kavakos bringt mit seinem dramatischen ersten Einsatz eine ganz andere Spannung hinein. Wie immer steht er auch bei den halsbrecherischsten Passagen des berüchtigt schweren Parts äußerlich ungerührt da, aber ein wenig von der Anstrengung, den Laden gemeinsam zusammenzuhalten, meint man herauszuhören. Gelegentlich drückt er auf den Klang seiner phänomenalen Stradivari „Willemotte“, oder sein starkes Vibrato bringt den Bogen kurz aus der Ruhe.
Die Wiedergabe ist alles andere als perfekt. Aber wie wenig kommt es auf Perfektion an! Viel wichtiger: Kavakos‘ Spiel hat eine persönliche Aussage. Sein Umgang mit dem Zeitmaß ist wirklich packend; mal beschleunigt er, mal lässt er die Musik atmen, und mal stoppt er sie, sodass einem beim Hören der Atem stockt. Wenn die Koordination mit dem Orchester ins Wackeln gerät, sind sie alle mit gespannter Aufmerksamkeit dabei. Da übernehmen Horn oder Solocello schon mal beherzt die Führung. Faszinierend, wie sich ein so vielköpfiges Kollektiv in Sekundenbruchteilen verständigen kann.
Am Bühnenrand steht Herbert Blomstedt, lauscht den Musikern und lächelt
Großer Jubel am Ende. Wieder und wieder kommen Kavakos und Blomstedt herein, ganz langsam, schütteln Hände, ganz besonders die des Konzertmeisters Roland Greutter. Für ihn ist es nämlich das letzte sinfonische Projekt vor dem Ruhestand. Kavakos und er rücken ein Notenpult zurecht, blättern vor und zurück, fast scheint es, als würden sie noch diskutieren, was sie als Zugabe spielen sollen: Zwei Duette von Bartók werden es, das eine voll inniger Zwiesprache und das andere ein fulminanter rhythmischer Wettstreit. Am Bühnenrand steht Blomstedt, lauscht und lächelt.
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Nach der Pause dirigiert er die Fünfte Sinfonie seines Säulenheiligen Carl Nielsen, die 1922 uraufgeführt wurde. Zwei Sätze hat sie nur und verbindet die rhythmische Schärfe und lustvollen Dissonanzen der klassischen Moderne mit blühenden, weiten Melodien, die noch tief in der Romantik wurzeln. Jedes Motiv könnte man anfassen, so konturiert und beseelt spielt das Orchester. Und so präzise. Noch die kleinsten Notenwerte greifen mühelos ineinander. Ein schöneres Plädoyer für diesen selten gespielten Komponisten kann man sich nicht wünschen.
Und einen bewegenderen Abend mit Herbert Blomstedt auch nicht.