Hamburg. Den Symphonikern gelang ein besonders inspirierendes Konzert – mit beeindruckenden Stimmungsbildern aus Skandinavien.

Von einigen wenigen Dauerhits wie Edvard Griegs „Peer Gynt“-Suiten mal abgesehen, steht skandinavische Musik nicht gerade im Zentrum des klassischen Konzertrepertoires. Wer kann schon von sich behaupten, etwa das Oeuvre eines Carl Nielsen zu kennen? Die Symphoniker Hamburg haben sich der Sache angenommen und zu ihrem 10. Symphoniekonzert, kurz bevor ihre Saison in Richtung Sommer, Sonne, Rathauskonzerte abbiegt, ein extrafeines nordisches Programm zusammengestellt.

Wenn es um Sibelius und Finnland geht, ist das Klischee von den dunklen Wäldern und klaren Seen nie fern. Auch die Sinfonische Dichtung „Nächtlicher Ritt und Sonnenaufgang“ spielt mit dieser Art Kopfkino. Was das Orchester in der Laeiszhalle ausbreitete, war eher ein Stimmungsbild, als dass die Musik sich im herkömmlichen Sinne weiterentwickelt hätte. Die immergleichen Galopprhythmen wuchsen zu einer unterschwelligen Bedrohung, Vogelrufe der Klarinette ließen auf den Morgen hoffen, bevor ein weicher Choral der Blechbläser den Albtraum auflöste.

Der Lette Andris Poga dirigierte dieses Tableau spannungsvoll und mit sparsamen Gesten. Auch bei den „Symphonischen Tänzen“ von Grieg zeigte sich das Orchester bestens aufgelegt. Temperamentvoll und unerschrocken jagten die ersten Geigen durch ihre virtuosen Staccati; wie Findlinge auf dem Feld brachen Blechsalven in die volkstümlichen Melodien von Oboe und Klarinette. Die Musik changierte zwischen Weltenbrand und lyrischem Schmelz. Auf die paar Wackler im Zusammenspiel und die leichten Intonations­trübungen kam es nicht an.

Unvergesslich: Der Showdown zwischen den beiden Paukern

Carl Nielsens Vierte Sinfonie, genannt „Das Unauslöschliche“, legte nach der Pause noch einiges drauf. Kein Zweifel, der Komponist sah sich auch in den Entstehungsjahren 1914 bis 1916 noch in der Tradition des guten alten Europas. Die schweren Dreiermotive im Blech erinnerten an Brahms, die Harmonik wiederum und die ins endlose gedehnten Spannungsbögen in den Holzbläsern, getragen von einem gezupften Streicherteppich bisweilen an dessen Widersacher Bruckner. Die Musik leugnete nicht Bindung an die Tonalität vorausgegangener Jahrhunderte, und doch schien am Horizont das Grauen des neuen Zeitalters herauf, wie es schon Mahler in seinen schneidenden Holzbläserfarben vorausgeahnt hatte.

Trotz der unüberhörbaren Stilbezüge wirkte die Sinfonie kein bisschen epigonal. Dazu kam sie viel zu frisch, persönlich, oft auch erschütternd daher. Ohne Vibrato, ohne harmonischen Unterbau und grundiert nur von der Pauke, schritten die ersten Geigen auf schmalem Pfad am Abgrund entlang. Den Showdown zwischen den beiden Paukern, positioniert an entgegengesetzten Rändern der Bühne, wird so schnell niemand vergessen, der dabei war. Was für ein inspirierendes Konzert. Eins von der Sorte, die einen klüger und wacher entlässt, als man hineingegangen ist.