Klaviermusik und Sinfonisches von Wagner, Liszt, Henze, Sibelius, Szymanowski und Rott in frischen Aufnahmen.

Viel kleiner hatte Igor Levit es nicht. Nach dem letzten Kraftakt mit Stevensons „Passacaglia on DSCH“ nun gleich zwei mächtige Herausforderungen. „Tristan“ (Sony Classical, 2 CDs, ca. 18 Euro), Levits nächste Flucht vorm Gemütlichwerden. Die Klavierfassung von Wagners „Tristan“-Vorspiel gab ihm Titel und Bezugszentrum.

Mit der Stevenson-Bearbeitung des Adagios aus Mahlers unvollendeter Zehnter, sehr adagio abgebremst, und Liszts „Harmonies du soir“ verdunkelt sich das beeindruckende Studio-Album weiter. Schwarzes Loch in der Mitte: Henzes „Tristan“ von 1974, seltenst aufgeführt, ebenso sperrig wie fordernd lohnend, randvoll mit Selbstzweifeln und Sinnsuche. Man braucht, auch als Hörer, starke Nerven für dieses Programm.

Dass Krystian Zimerman Halbgares und Unverbindliches nicht ausstehen kann, ist ein zentraler Charakterzug. Nur konsequent also, dass sein neues Album einer sträflich unterschätzten Randfigur gewidmet ist, wild entschlossen, das zu ändern. „Karol Szymanowski: Piano Works“(DG, ca. 18 Euro) beleuchtet Leben und Ästhetik des 1882 geborenen polnischen Komponisten mit einer musikalischen Eindringlichkeit, die so nur ein Musikerzähler wie Zimerman bieten kann. Die Bandbreite reicht vom jungen Chopin-Bewunderer auf dem Weg nach dem eigenen Standpunkt bis zum gereiften, eigenwilligen, gar nicht konventionellen Eigenwilligen.

Karol Szymanowski: Piano Works.
Karol Szymanowski: Piano Works. © Deutsche grammophon

Die Aufnahmen schildern eine Reise durch Paralleluniversen, in denen vertraute Stilmittel immer wieder einen Hauch anders eingesetzt werden als gewohnt. Hier schimmern noch Rachmaninow, Debussy und Skrjabin durch, dort schon Strawinsky oder Hindemith, die Vorboten der Moderne, vor allem aber die eigene Handschrift. Szymanowskis Klaviermusik hätte nicht überzeugender ins Rampenlicht gebracht werden können als durch diese hinreißende Liebeserklärung zum 140. Geburtstag.

Klassik-Tipps: Neue Aufnahmen von Sibelius und Rott

Aufsehenerregende junge Finnen, die mit ihren skandinavischen Orchestern alle Sibelius-Sinfonien dirigieren? Da gibt es noch jemanden, neben Klaus Mäkelä und Oslo. Santtu-Matias Rouvali setzt mit der Einspielung der Dritten und der Fünften die 2019 begonnene Runde durch die sieben Nationalheiligtümer fort, gemeinsam mit den Göteborger Symphonikern (alpha, ca. 20 Euro), deren Chef er seit 2017 ist.

Santtu-Matias Rouvali: Sibelius-Sinfonien 3 und 5. 
Santtu-Matias Rouvali: Sibelius-Sinfonien 3 und 5.  © Alpha / Note 1

Rouvalis Perspektive ist energischer, forscher zupackend in den Tempi als die des zehn (!) Jahre jüngeren Mäkelä: den berühmten letzten Satz der Fünften lässt Rouvali geradezu losgaloppieren. Wie schön, wenn es jetzt mehr als eine neue Referenzaufnahme dieser Meisterwerke gibt. Bonus-Track ist die Sinfonische Dichtung „Pohjolas Tochter“. Am 8. November ist Rouvali in der Elbphilharmonie zu erleben – aber mit Dvorak und dem Philharmonia London.

London wird erst 2025 die neue Opernheimat von Jakob Hrusa, dann übernimmt er Sir Antonio Pappanos Chefposten in Covent Garden. Seine Klasse mit opulenter Spätromantik stellt Hrusa schon jetzt mit einem seinen Bamberger Symphonikern klar (DG, ca. 18 Euro): Die E-Dur-Sinfonie von Hans Rott steht im Mittelpunkt, ein Stück, dass Rotts Wiener Studienkollege Gustav Mahler liebend gern geschrieben hätte – wie sehr, kann man überall in Mahlers frühen Sinfonien hören.

Jakob Hrusa: Hans Rott, Sinfonie 1.
Jakob Hrusa: Hans Rott, Sinfonie 1. © Deutsche grammophon

Hans wer?! Rotts Karriere endete tragisch, bevor sie begann. Brahms verhöhnte ihn, Rott verlor den Verstand und starb, 26 Jahre jung, in der Irrenanstalt. Seine Erste und Einzige ist sensationell, Hrusas Begeisterung unüberhörbar. Kluge Ergänzung: Mahlers „Blumine“-Satz, den der für seine Erste schrieb, und das „Symphonische Präludium“ von Rotts Lehrer Bruckner, ein Stück, über dessen Herkunft lange gerätselt wurde.