Hamburg. Beim Elbphilharmonie-Konzert der Tallis Scholars war die eigentlich gebotene Sinnlichkeit nur in homöopathischen Dosen zu spüren.

Die Tallis Scholars sind eine Ikone der Alten Musik. Gegründet vor 50 Jahren und bekannt für ihre Interpretationen des Renaissance-Repertoires. Mit dem waren sie jetzt auch in der Elbphilharmonie zu Gast – und gaben dem Konzert eine beinahe mystische Aura.

Elbphilharmonie: Diese Liebe war leider ein bisschen zu kühl

Sechs Sängerinnen und vier Sänger standen da auf der Bühne im Großen Saal, stimmungsvoll ausgeleuchtet. Die Musik von Komponisten wie Sebastián de Vivanco oder Heinrich Isaac schien fast wie von selbst zu fließen. Dirigent Peter Phillips brauchte nur ein paar kleine Gesten, mehr nicht. Unterstützt von der kristallinen Akustik, verströmte das Ensemble den typischen Tallis-Sound: Er hat eine fast schon schmerzliche Klarheit. Mit Akkorden, die den Raum sirren lassen. Mit einer unglaublichen Transparenz. Und mit einem hellen, vibratolosen Strahl der Soprane, der manchmal wie ein vokales Laserschwert durch die Luft schneidet und auf dem Trommelfell britzelt.

Das klingt wie ein Konzentrat der britischen Chortradition. Allein, es passte nur so halb zum Programm. Für den Themenschwerpunkt „Liebe“ beim Internationalen Musikfest hatten die Tallis Scholars einige Hohelied-Motetten ins Zentrum gerückt. Also Vertonungen jener König Salomo zugeschriebenen Texte aus dem Alten Testament, die von den Wonnen der Liebe schmachten und dabei auch erotische Bilder und Metaphern nutzen.

Die Ensemble-Mitglieder zeigten auf der Bühne kaum eine Regung

Diese Sinnlichkeit war allerdings nur in homöopathischen Dosen zu spüren. Etwa, als die Sängerinnen und Sänger das Wort „dulcis“ dezent auskosteten, mit dem Salomo beschwärmt, wie süß die Frucht des Begehrten schmeckt. Aber das war’s dann auch schon. Vieles wirkte ein bisschen kühl. Bestärkt durch die kontrollierte Körpersprache des Ensembles, dessen Mitglieder auf der Bühne kaum eine Regung zeigten.

In Costanzo Festas „Quam pulchra es“ („Wie schön du bist“) bekam der Auftritt endgültig etwas Keusches. Als wollten Phillips und seine Gruppe den sündigen Untertönen des Hohelieds besser nicht zu nahekommen. Dort, wo sie die Liebe zu Jesus und Maria besingen, wie in Robert Parsons‘ „O bone Jesu“, sind sie eher zu Hause. Allerdings klangen die Tallis Scholars auch da nicht direkt überprobt. Ein paar mehr Farbnuancen und Stimmungswechsel hätten dem Abend sicher gutgetan.

So wie im „Ave regina caelorum“ von Judith Weir, dem einzigen zeitgenössischen Stück, mit seinen groovenden Rhythmen. Ein schöner und willkommener Kontrast im Programm, das sich zum Ende hin ein bisschen zog. Auch, weil die Konzentration der Sängerinnen und Sänger im zweiten Teil verständlicherweise einen Tick nachließ.

Elbphilharmonie: Die innige Zugabe hatte ersehnte klangliche und emotionale Wärme

Und trotzdem: ein stimmiges Konzert des renommierten Ensembles, das zu Recht ausgiebig gefeiert wurde – und schließlich noch mit dem wunderbar schlichten „If ye love me“ seines Namensgebers Thomas Tallis berührte. Diese innige Zugabe hatte genau jene klangliche und emotionale Wärme, von der es vorher gern ein bisschen mehr hätte geben dürfen.