Hamburg. Von Ballettmusik bis Broadway: Das Elbphilharmonie-Konzert der furchtlosen Sängerin und Dirigentin war voller Höhepunkte.
Konzerte werden von vorn gehört, aber manchmal erst von hinten verstanden. Der allerletzte Moment also war das eigentliche Schlüsselerlebnis im Auftritt von Barbara Hannigan mit den Göteborgs Symfonikern. Sie hatte ihre Liebeserklärung an den „amerikanischen“ Weill ganz reizend gesungen und geschmeidig einfühlsam dirigiert, „Lost in the Stars“, einen seiner broadwayigsten Musical-Klassiker.
Alle im Großen Saal der Elbphilharmonie waren verzückt, und während das Orchester auf den Schlussakkord hinschwebte, pflückte Hannigan, ganz die Diva, mit grazilen Handbewegungen noch schnell den einen oder anderen Stern aus dem besungenen Himmel. Hach, aber wirklich. Denn davor hatte sie in Weills „Youkali“, einer ziemlich heißen Tango-Habanera-Nummer, eine ziemlich heiße Nummer hingelegt. Und das Tutti hatte eine Strophe mitgesungen.
Hannigan weiß, was Orchester wünschen
Die Kanadierin mit der faszinierenden Doppel-Berufung Sopranistin und Dirigentin war in dieser Saison mit einigen maßgeschneiderten Abenden zu Gast in der Stadt gewesen, ihr vorerst letzter schien programmatisch sehr wie ein von ihr für sich kuratiertes Wunschkonzert. Zwei Ballettmusiken, die sich in ihrer stilistischen Unterschiedlichkeit elegant einander annäherten, dazu Weill-Hits, die so gar nicht dessen rabaukigen 1920er-Jahre-Weimarer-Republik-Klischee entsprechen – und, weil Hannigan solche Überrumpelungsmomente liebt, eine effektvoll ausgesuchte Vorabzugabe mal eben mitten ins Hauptprogramm platziert.
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Barbara Hannigan beim Umgang mit Musik zuzusehen und zuzuhören ist ein wahres Vergnügen. Als furchtlose, kompromissferne Sängerin von Angstpartien wie in der Hamburger „Lulu“-Inszenierung von Christoph Marthaler ist sie ohnehin längst eine Klasse für sich, als Dirigentin eine Überredungsvirtuosin – sie überzeugt nicht mit Nachdruck oder gar herrischer Autorität, nichts wird straff forciert. Wer möchte, kann mitmachen, signalisiert ihre Körpersprache, freundlich und energetisch. Sie massiert das Gewünschte aus den Noten heraus, umschmeichelt und lässt laufen.
Die Solo-Partien waren bestens besetzt
In Strawinskys „Pulcinella“-Ballettmusik gab es ganze Abschnitte, bei denen sie entweder nur mit Schulterbewegungen die Spur hielt. Oder beobachtend und vertrauend als Zuschauerin auf ihrem Podest stand und die Aussicht genoss. Kein ungeschickter Trick, klar, aber eben auch kein bloßer Show-Effekt um des Effekts willen. Denn so handzahm ist diese neoklassizistisch auftoupierte Barock-Imitation, mit der der junge Strawinsky seine Originalität bewiesen hatte, eben doch nicht.
Hannigan betonte das Tänzerische, Tänzelnde dieser Musik, die kleinen, feinen Solo-Partien waren mit Mitgliedern ihres „Equilibrum“-Förderprogramms bestens besetzt: James Ways Tenor hatte schlanke Schärfe, Antoin Herrera-López Kessel war als Bassbariton zu wenig gefordert, das Charisma und das Timbre von Fleur Barrons Mezzosopran hätten einen eigenen Konzertabend verdient.
Offenbachs Walzerchen war sahnesüß wie Buttercremetorte
Bei Offenbachs Ballett-Einakter „Gaîté Parisienne“, den Hannigan mit anderen Ohrwürmern angereichert hatte, waren die ersten vergnügten Kicherer in Zuschauerreihen schon in der schmissigen Ouvertüre zu hören. Offenbach ließ nichts aus, um Eindruck zu schinden: ein Walzerchen, sahnesüß wie eine Buttercremetorte, die Holzbläser-Soli mit leicht angeschickertem Charme, und vor dem wirbelnden Can-Can die „Barcarole“, die von Hannigan und Barron im Duett allerliebst kredenzt wurde.