Hamburg. Beim Heimspiel präsentierte sich der „Poptitan“ überzeugt als Mann von gestern. Für seine größten Fans ist eh immer Ballermann.
- „Poptitan“ Dieter Bohlen geht auf große Abschiedstournee
- Zu seinem Konzert in der Hamburger Sporthalle kamen 4000 Fans und feierten seine größten Hits
- Bohlen zeigte sich dabei genauso wie sein Image ist
England hat die Welt mit den Beatles erobert, den Pet Shop Boys und Adele. Deutschland hat der Welt die Scorpions, Scooter und „You’re My Heart, You’re My Soul“ geschenkt. Das ist hart. Hart ist auch der ewige Dieter. Dieter Bohlen, der sogenannte Poptitan, Deutschlands Beitrag zum Weltschrotterbe. So würden Verächter das nennen, was der Songschreiber und Musiker in seiner langen Karriere abgeliefert hat.
Nun, nicht jeder ist ein Bohlen-Verächter, schon gar nicht an einem Tag wie Sonnabend, als in Hamburg Entblößungswetter herrschte. Bohlen kam da für manche genau richtig, um den inneren Ballermann zu entfesseln. Beim Konzert in der Sporthalle tanzten sie am Ende oberkörperfrei, schön war das allerdings nicht. Zum Hamburger Teil des „größten Comebacks aller Zeiten“ (Tour-PR) hatten sich immerhin knapp 4000 Leute eingefunden.
Dieter Bohlen: Bekannt als messerscharfer Verbalvernichter bei „DSDS“
Die gehören sicher zu den unglaublichen 651 Millionen, die weitaus mehr als einmal den berühmten Modern-Talking-Fetzen „You’re My Heart“ auf YouTube aufgerufen haben. Gibt’s eigentlich überhaupt einen öfter gestreamten Song eines deutschen Interpreten? Eine Nostalgieveranstaltung war Bohlens mutmaßliches Abschiedskonzert aber nicht: Der immer braun gebrannte Fönfrisurmann aus Tötensen hat sich als langjähriger Popdiamantenschürfer, aber mehr noch als hartherziger, hammerharter Verbalvernichter („Wenn das Wetter so wäre wie deine Stimme, dann würde es Scheiße regnen“) bei „Deutschland sucht den Superstar“) die Teilgefolgschaft nachfolgender Generationen gesichert.
Weshalb ein sicher nicht kleiner Teil des Publikums noch nicht geboren war, als Dieter Bohlen und Thomas Anders mit ihrem Kopfstimmeninferno ab Mitte der 80er-Jahre die Unterhaltungswelt in Brand setzten.
Sporthalle Hamburg: Dieter ist halt Dieter
Man bekam in der Sporthalle also den ganzen Bohlen. Den von Modern Talking und Blue System, der mit sieben Musikern (unter ihnen keine Frau) Synthiepop-Stampfer aus drei Jahrzehnten so präsentierte, dass es manchmal wie aus der Konserve klang.
Den Schnacker-Dieter, der seine Karriere durchpflügte („Es gab gute und schlechte Zeiten“), der launig den in der letzten, seiner „DSDS“-Comebackstaffel final beglaubigten Status als Mann von gestern („Man kann eigentlich überhaupt nichts mehr sagen, alles ist politisch unkorrekt – das bin ich aber eh, also kann ich sagen, was ich will“) als nicht weiter wichtig abtat. Dieter ist halt Dieter, kannste nix machen, ne?
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Den Mann für alle, der stolz auf seine dreieinhalb Millionen Follower in den sozialen Netzwerken verwies und klug genug war, im Vorprogramm den aktuellen „DSDS“-Sieger Sem Eisinger und bei seinem Auftritt „DSDS“-Aushängeschild Pietro Lombardi auf die Bühne zu holen. Dass Bohlen sich nicht nur optisch gut gehalten hat, dass seine Reichweite sich sehen lassen kann, liegt an den jungen Leuten, mit denen er sich umgibt.
Bohlen auf Abschiedstour: Zu seinen Hits wurde getanzt
Man bekam den Larifari-Laberer, der paternalistisch die Welt ordnend und lässig („Da hab ich gedacht, dem kleinen Apachenhäuptling schreib ich doch mal ein Titelchen“) die Entstehung von Songs wie „Geronimo’s Cadillac“ erklärte.
Man bekam die beleidigte Leberwurst („Ich mache alles, was ich mache, für die, die mich mögen – was die, die mich scheiße finden, denken, interessiert mich nicht“), aber auch den Dieter, dessen Name skandiert wurde und zu dessen Hits getanzt wurde.
Modern Talking: Klassiker des enthemmten Abfeierns?
„Cheri Cheri Lady“, „Brother Louie“ – sind das jenseits aller Coolness-Codes am Ende tatsächlich Klassiker des geschmacklich enthemmten Abfeierns? Irgendwie schon, aber man kann sich ja auch vieles schöntrinken. Und hie und da wird auch Ironie im Spiel gewesen sein. Die beste Version Bohlens ist übrigens die selbstironische, leider hat er sie zu selten im Programm.
Beim Versuch, den Künstler Bohlen mit dem RTL-Juror Bohlen zusammenzubringen, scheiterte der Doppel-Dieter fast. Drei Fans aus dem Publikum holte der böse TV-Scharfrichter zum Vorsingen, um zum einen Volksnähe zu beweisen und zum anderen ein bisschen die Peinlichkeit des Laien vorzuführen – genau darum geht es ja bei „DSDS“. Man merkte, wie schwer es ihm fiel, sanft mit den Nicht-Bühnen-Erprobten umzugehen. Aber er riss sich zusammen. Bohlen kann auch zahm sein.
Dieter Bohlen: Es hätte was gefehlt, ohne ihn. Wahrscheinlich
Ganz zum Schluss, bei „You’re My Heart, You’re My Soul“ – zugegeben, die Geschmacksnerven spielen einem manchmal einen Streich, so schlimm war das alles gar nicht, Pop ist halt Pop - schwofte die ganze Sporthalle zur notorischen Melodie für Millionen.
Bohlen ist jetzt 69. Seinen Job als Prollpate und deutscher Hit Man für den Weltmarkt – er wusste zu berichten, dass seine Songs derzeit am meisten in Mexiko gehört werden – ist lange schon erledigt. Hat schon mitunter wehgetan, aber hätte es ihn nicht gegeben, hätte was gefehlt. Wahrscheinlich.
Aber reicht jetzt auch mal.