Hamburg. Dem in Hochform aufspielenden Ensemble ist die Lust an der deftigen Komödie im Thalia in der Gaußstraße jederzeit anzumerken.
Die österreichische Sprache zählt ja zu den galantesten überhaupt. Da lassen sich auch Nordlichter gerne mal von einem saftigen Volksstück mitreißen. Erst recht, wenn es so frisch, einfallsreich und originell daherkommt, wie gerade Bastian Krafts Version von Johann Nestroys „Der Talisman“ (1840) im Thalia in der Gaußstraße.
Eine weiße Wand mit eingebauten Türen (Bühne: Nadin Schumacher) wird zur Projektionsfläche einer engstirnigen Dorfgemeinschaft. Riesige Schriftzüge, comicartige Personenbeschreibungen und wachsende Blumen addieren sich darauf in einer tollen Pop-Art-Ästhetik (Video: Jonas Link).
Nestroys „Der Talisman“ im Thalia Gaußstraße – herrlich entlarvende Außenseiterballade
Die herrlich entlarvende Außenseiterballade um den fröhlichen, aber ob seiner roten Haare geächteten Titus Feuerfuchs gerät bei Bastian Kraft auch zum fröhlichen Wechselspiel der Geschlechter. Lisa-Maria Sommerfeld spielt den Vagabunden auf Arbeitssuche mit entwaffnender Selbstsicherheit.
Gleich zu Anfang trifft er auf die Außenseiterin des Dorfes, die – ebenfalls rothaarige - Gänsehüterin Salome Pockerl, anrührend gegeben von Julian Greis. Feuerfuchs will sich nicht unterkriegen lassen. Das Glück ereilt ihn, als er dem Friseur Monsieur Marquis (Sandra Flubacher) bei einem Unfall zur Hilfe kommt und zum Dank einen Talisman erhält: eine hübsche, schwarzlockige Perücke.
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Dank dieser „Hauptsache“ wird sein Problem fortan zur „Nebensache“. Er selbst wird zur Projektionsfläche der Sehnsüchte einsamer Witwen: einer Gärtnerin (schillernd: Pascal Houdus), einer verhärmten Kammerfrau (Oliver Mallison) und sogar der adeligen Frau von Cypressenburg (wiederum gespielt von Julian Greis).
Arbeitsmöglichkeiten tun sich plötzlich auf. Dennoch nimmt das Schicksal seinen Lauf. Als Feuerfuchs einmal „wegduselt“, verliert er den Talisman, was zu allerlei derben Verwechslungen und Verrenkungen führt.
Dem Ensemble ist die Lust an der deftigen Komödie anzumerken
Dem in Hochform aufspielenden Ensemble ist die Lust an der deftigen Komödie jederzeit anzumerken. Je weiter der Abend voranschreitet, desto absurder werden die Wendungen. Schließlich dreht sich auch das Bühnenbild und gibt Einblicke in die hohe Schule der Verkleidungskunst (Kostüme: Inga Timm).
Die Musikerin Carolina Bigge hat überdies den Abend mit wundervollen, mitreißenden Schlagern versehen („Die Zeit ändert viel“), die den liebenswerten Figuren eine zusätzliche Ebene der Selbstbehauptung einräumen. Ein kluger Kunstgriff, mit dem das Stück ganz nebenbei sogar auf der Höhe aktueller Diskurse segelt.
Diese Nestroy-Auslotung ist ein großer Theaterspaß. Sehenswert.
„Der Talisman“ weitere Vorstellungen 4.5., 20 Uhr, 16.5., 20 Uhr, 29.5., 19 Uhr, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de