Hamburg. In „Weinprobe für Anfänger“ finden Weinhändler Jacques und die weltfremde Hortense zueinander – einfach ist diese Liebe nicht.

Raman Pawa fällt auf die Knie. Die Bühne hat der junge Schauspieler schon verlassen, das Foyer in der Komödie Winterhuder Fährhaus ist der Ort der dramatischen Geste. Gerade hat Theaterleiterin Britta Duah bei der Premierenfeier alle Beteiligten der „Weinprobe für Anfänger“ vorgestellt und gebührend gelobt, im Anschluss daran nutzt Pawa, der Darsteller von Steve, die Aufmerksamkeit, um seiner Freundin Anglieka einen Heiratsantrag zu machen – den die unter dem Beifall der Premierengäste und Pawas zahlreichen Familienmitgliedern mit gerührter Miene auch annimmt. Dieses Liebesbekenntnis ist ein passender Schlusspunkt unter einem begeisternden Theaterabend, an dem der in Afghanistan geborene Pawa großen Anteil hat.

Komödie Winterhuder Fährhaus: Pawa feiert ein großartiges Bühnendebüt

In Ivan Calbéracs Boulevardkomödie übernimmt Raman Pawa die Rolle des Steve. Der junge Mann, der mit Hoodie und Baseballkappe eher in eine amerikanische Metropole als in eine gediegene französische Stadt passen würde, flüchtet sich in das Geschäft des knorrigen Weinhändlers Jacques (Ulrich Gebauer). Steve sitzt eigentlich im Knast, hatte Freigang und versuchte mit einem Diebstahl seine klamme Kasse aufzubessern.

Nun sucht er ein Versteck. Im weiteren Verlauf des Stücks kehrt Steve im Rahmen einer Resozialisierung in den Laden zurück, zeigt sich bei der Verkostung der Weine als extrem geschmackssicher, schwingt zu französischem Hip-Hop inklusive einer Breakdance-Einlage den Wischmopp und erweist sich auch als patenter Ratgeber in Liebesdingen. Pawa, der bisher nur in Film und Fernsehen gespielt hat, feiert an der Komödie ein großartiges Bühnendebüt. „Ich bin sehr glücklich, dass Martin Woelffer mir die Chance gegeben hat, hier mitzuspielen“, sagt er später und strahlt.

Das Stück beginnt mit wortwitzigem Schlagabtausch

Im Mittelpunkt der Komödie, die 2019 in Frankreich mit dem Prix Molière für die beste Komödie ausgezeichnet wurde, steht jedoch nicht Steve, sondern ein ungleiches Paar – mit dem Alleinsein als gemeinsamem Nenner. Jacques ist ein passionierter Weinhändler, den Ulrich Gebauer mit viel Lakonie spielt. Er hat zu allem, was um ihn herum geschieht, einen knappen und bissigen Kommentar.

Einem Glas – oder auch mehreren Gläsern – ist er nicht abgeneigt, was seinem Arzt Monsieur Milmont (Herbert Trottnigg) einiges an Kopfzerbrechen bereitet, denn der Blutdruck des menschenscheuen Ladenbesitzers erreicht besorgniserregende Werte. Der steigt wieder, als die weltfremde und schusselige Hortense (Anne Moll) sein Geschäft betritt. Nicht weil er sie so attraktiv findet, sondern wegen ihrer Naivität. „Ich hätte gern eine Flasche Wein“, sagt sie. Jacques kontert: „Was macht Sie glauben, dass man hier welchen verkauft?“ Das Stück beginnt mit einem wortwitzigen Schlagabtausch, und je länger der Dialog dauert, desto mehr spürt man die gegenseitige Anziehung zwischen diesen einsamen Herzen (die im wirklichen Leben miteinander verheiratet sind).

Nach dieser ersten Begegnung kommt Hortense jeden Tag in das Spirituosengeschäft. Weil sie ihr Handy vergessen hat, weil sie weiteren Wein kaufen will und weil sie das Angebot einer Weinprobe annimmt, die dann aus dem Ruder läuft, was auch an den plumpen Avancen liegt, die Jacques’ Nachbar Guillaume, ein übergriffiger Buchhändler (Gerd Lukas Storzer), der verunsicherten Hortense macht.

Figuren mit großer Schlagfertigkeit

Calbéracs Stück ist bester Boulevard, weil er seine Figuren mit großer Schlagfertigkeit ausstattet. Martin Woelffer hat die Vorlage mit viel Tempo inszeniert. Diese Weinprobe braucht exaktes Timing, und die besitzt jeder in diesem Ensemble. Die zweieinhalb Stunden inklusive einer Pause vergehen wie im Fluge. Nach der Pause bekommt das Stück zudem noch Fallhöhe, denn sich beim Weintrinken zu verlieben wäre als Plot zu wenig.

Die Einsamkeit von Jacques und von Hortense hat Gründe, und die erfährt das Publikum erst im zweiten Teil. Der beginnt mit spontanem Beifall des Publikums, denn Hortense kriecht mit zerzausten Haaren und einer übergeworfenen Decke ziemlich derangiert aus dem Lagerraum. Die Zuschauer sind begeistert, dass Hortense und Jacques sich als Paar gefunden haben, doch ganz so einfach ist es mit dieser jungen Liebe nicht.

Komödie Winterhuder Fährhaus: Inszenierung des Stücks ist komplett gelungen

Die Komödie dürfte auch denen Spaß machen, die schon mal eine Weinprobe mit all ihren Regeln erlebt haben. Wie zu erwarten, schütten die Anfänger auf der Bühne sich die Gläser auf Ex in den Rachen, statt mit Augen, Nase und Gaumen zu prüfen, welche Geschmacksnoten sich in den Grands Crus verbergen. Guillaume schmeckt immer nur Vanille, Hortense überkommt ein Schluckauf, nur Steve hat einen Sinn für jede Nuance. Stephan Fernau hat einen urigen Laden auf die Bühne gestellt, der etwas von einer engen und gemütlichen Höhle hat.

Ein Bild des Klarinettisten Sidney Bechet stellt die Verbindung zwischen Wein und Jazz her, als Zwischenmusik hat Woelffer unter anderem Bechets berühmtes „Petite Fleur“ sowie Musik von Lee Morgan und den Lounge Lizards ausgewählt. Auch das zeugt von allerbestem Geschmack und Stilsicherheit. Diese Inszenierung in der Komödie ist komplett gelungen. Am Ende gibt es zu Recht riesigen Beifall.

„Weinprobe für Anfänger“ Komödie Winterhuder Fährhaus, läuft bis 4. Juni, Karten unter Tel. 040/480 680 80 oder unter www.komoedie-hamburg.de