Hamburg. Die Revue „Spatz und Engel“ über die Freundschaft von Marlene Dietrich und Edith Piaf begeistert im Ernst Deutsch Theater Alt und Jung.

Seit Längerem theaterinteressierte Menschen in und um Hamburg erinnern sich gut und gern an zwei besondere Produktionen mit Julia Kock und mit Judy Winter. Erstgenannte erlebte vor fast drei Jahrzehnten als und in „Edith Piaf – Revue eines Lebens“ im Schmidt Theater ihren Durchbruch. Die gebürtige Kielerin Kock singt und verkörpert die Piaf bis heute bei Soloabenden. Schauspielstar Judy Winter erweckte vor 25 Jahren den Mythos Marlene Dietrich im Stück „Marlene“ neu. Mehr als insgesamt 500-mal spielte die Winter den Weltstar, in Hamburg bis in der Nullerjahre hinein auch am Ernst Deutsch Theater.

Doch die beiden Ausnahmekünstlerinnen Piaf und Dietrich zusammen in einer Story auf einer Bühne? Auch das geht – und zwar außergewöhnlich gut, wie die bewegende, berührende und erhebende Premiere von „Spatz und Engel“ an der Mundsburg zeigt. Insbesondere die beiden Hauptdarstellerinnen Vasilki Roussi und Anika Mauer wurden vom Publikum minutenlang stehend mit Beifall gefeiert, ob nun von alt oder jung.

Die Dietrich und die Piaf – am Ernst Deutsch Theater bewegend und erhebend

Und wie schon vor zwei Jahrzehnten „Marlene“ ist auch dieses Stück mit Musik eine Co-Produktion des Ernst Deutsch Theaters mit dem Berliner Renaissance-Theater. Was nebenbei bedingt, dass der – bei der Premiere nicht anwesende – Regisseur Torsten Fischer an der Mundsburg doch mal wieder eine andere, in diesem Fall gekonnte künstlerische Handschrift hinterlassen kann. Vor genau acht Jahren hatte seine überfrachtete Tragödien-Collage „Iphigenie“ aus Texten von Goethe, Euripides, Aischylos und Hugo von Hofmannsthal dazu geführt, dass die bedauernswerte Hauptdarstellerin Daniela Ziegler auf der Bühne einen langen Texthänger hatte, einen regelrechten Blackout. Fischer hat danach nicht mehr am Ernst Deutsch Theater inszeniert.

Im Stück der Autoren Daniel Große Boymann und Thomas Kahry hat ohnehin meist Marlene Dietrich alias Anika Mauer die Hosen an. Buchstäblich. Das nicht nur in Deutschland, auch in weiteren europäischen Ländern und in Kanada gefragte Werk ist indes mehr Revue denn Schauspiel. Basierend auf historischen Tatsachen erzählt „Spatz und Engel“ in kurzen Spielszenen und mit mehr als 20 Liedern die Geschichte der Freundschaft zwischen Edith Piaf und Marlene Dietrich.

Zwei Weltstars, zwei Welten: hier die unprätentiöse Piaf, da die Tochter einer preußischen Offiziersfamilie

Es beginnt im Jahr 1960, als der „Spatz von Paris“ und die dank des Films als „Der blaue Engel“ bekannt gewordene Dietrich parallel in einem Theater in Straßburg und im Casino Baden-Baden bei Konzerten auftreten. Nur gut 60 Kilometer voneinander entfernt. Zwei Mikrofone und zwei hintereinander angeordnete Bühnenstege symbolisieren unterschiedliche Ebenen.

Zunächst singen sie „Chevalier de Paris“ und „When The World Was Young“ . Zwei Weltstars, zwei Welten: hier die unprätentiöse Piaf, ein Kind aus der Pariser Gosse, da die Tochter einer preußischen Offiziersfamilie mit ihrer inszenierten Grandezza. Dann stoppt die Musik, beide überwinden ihrer räumliche Trennung, küssen sich in der Bühnenmitte, tauschen die Seiten und setzen ihre Konzerte fort.

Wie innig war die Liebesbeziehung der beiden Stars? Die Stückautoren können nur spekulieren

Danach geht es zurück zum Kennenlernen 1948 in New York und chronologisch wieder bis ins Jahr 1960. Ihre erste Begegnung backstage hat durchaus Komik: „Wer sind Sie eigentlich, die Klofrau oder die Garderobiere? Haben sie ein Papier für mich?“, fragt naiv-frech die Piaf. „Hier. Nehmen Sie mein Taschentuch – Chiffon!“, entgegnet die Dietrich.

Sie hat ihren Durchbruch als „fesche Lola“ da längst hinter sich, ist als Nazi-Gegnerin in den USA ein Star. Nun will die Dietrich, fasziniert von Piafs Stimme, der kleinen, 15 Jahre jüngeren Edith auch in Amerika zum Erfolg verhelfen. Vorher aber ziehen die beiden Frauen um die Häuser, betrinken sich. Und schlafen am Ende der Nacht nebeneinander, übereinander – etwa miteinander? Wie innig die Liebesbeziehung der beiden Stars wirklich war, darüber konnten auch die beiden Stückautoren nur spekulieren. Auch das macht den Reiz von „Spatz und Engel“ aus.

Vor einem überdimensionalen gekippten Spiegel im Bühnenhintergrund sieht sich nicht nur das Ensemble aus ungewohnter Perspektive, auch das Publikum wird so im doppelten Sinn Augenzeuge dieser spannungsgeladenen Beziehung.

Die Dietrich Anika Mauer – schon 2019 mit dem Rolf-Mares-Preis ausgezeichnet

Als Dietrich zeigt Anika Mauer als kühler „Engel“ reichlich preußische Härte. Der Berliner Theaterstar, in Hamburg 2019 für die Leistung im Drama „Sophie“ mit dem Rolf-Mares-Preis ausgezeichnet und an der Mundsburg im Vorjahr in „Harper Regan“ zu sehen, kitzelt indes auch das Fürsorgliche in ihrer Marlene heraus. So wie die Dietrich es war, ist Mauer hier mehr Schauspielerin als Sängerin, rührt dennoch etwa mit dem Antikriegslied „Sag mir, wo die Blumen sind“.

Die gebürtige Griechin Vasiliki Roussi erinnert bei ihrem Hamburg-Debüt auf großer Bühne mit ihrem Timbre verblüffend stark an die Piaf. Lange Zeit an diesem faszinierenden Abend glänzt sie vor allem als großartige Chanson-Interpretin, erhält beim Singen Zwischenbeifall. „Mylord“, „Non, je ne regrette rien“ und „La vie en rose“ sind nur drei Beispiele. Im zweiten Teil geht sie in ihrer Rolle mit enormer Energie bis hin zur Wut völlig auf. Ihr „Spatz“ ist stets exzessiv, die Sprache oft unflätig, der Hang zur Sucht unaufhörlich. Von Lied zu Lied wird sie hinfälliger, blasser, dunkler, noch kleiner.

Dazu kommen melodramatische Liebesaffären, etwa mit dem französischen Box-Weltmeister Marcel Cerdan oder dem Schriftsteller Noël Coward. Renaissance-Theater-Intendant Guntbert Warns trägt die Piaf alias Roussi in diesen Nebenrollen auf Händen oder wirbelt sie umher, dass einem fast der Atem stockt. Sehr stark. Ralph Morgenstern, ehedem als TV-Moderator („Blond am Freitag“/ZDF) bekannt, kann da schauspielerisch nicht ganz mithalten. Indes sorgen die beiden für komische Einlagen und unterstützen die Diven auch tänzerisch.

Gilt musikalisch bei allen Liedern für Harry Ermer am Klavier und Eugen Schwabauer (Akkordeon), aber auch für ihre Intermezzi und im Hintergrund. Dafür steht schließlich auch der Epilog, der das Publikum zur betagten Marlene ins Jahr 1990 nach Paris führt. Piaf war da schon 27 Jahre lang tot.

„Spatz und Engel“ bis 27.5, jew. 19.30 (außer Mo), So 19.00, Ernst Deutsch Theater (U Mundsburg), Friedrich-Schütter-Platz 1, Karten zu 22,- bis 42,- unter T. 22 70 14 20; www.ernst-deutsch-theater.de