Hamburg. In die aufgekratzte Stimmung zur Festivaleröffnung im Fundus Theater mischen sich Melancholie und der Gedanke an eine ungewisse Zukunft.
Es ist wirklich alles da, was es zum Gelingen der Eröffnung von „Hauptsache frei – Festival der Darstellenden Künste Hamburgs“ braucht: aufgekratzte Stimmung, eine in Fantasie- und Glitzer-Kostüme von Erfolgsproduktionen vergangener Jahre gewandete Festivalleitung, ein üppiges Büfett. Und dann wird man auch noch per Kuhglocke sehr charmant in den Saal des an diesem Abend gastgebenden Fundus Theaters gebeten.
Es könnte also alles so schön sein, wenn über dem Abend nicht zugleich der Grauschleier einer leisen Melancholie läge. Nach drei Ausgaben ist es das letzte Festival unter der künstlerischen Leitung von Jens Dietrich und Christine Grosche und ihrem Team. Der aktuelle Rückgang der Förderquote in der freien Szene lässt für die kommenden Festivalausgaben nach jetzigem Stand eher wenig Optimismus zu. Aber man versucht, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Festival der Darstellenden Künste: Wohlfühlperformance zur Eröffnung
Der Eröffnungsabend ist auch deshalb ein voller Erfolg, weil die richtige Produktion ausgewählt wurde. Lisa Florentine Schmalz und ihr Team von staatsoper24 präsentieren mit „Dein Oxy“ eine absolute Wohlfühlperformance. In der geht es zwar um Kuscheln, Glücksgefühle und das für den Titel abgekürzte Bindungshormon Oxytocin, weshalb der Abend auf jeden Fall gute Laune garantiert.
Einlullend ist er dabei aber keineswegs. Da liegt die tolle Lisa Heinrici in einem organisch wirkenden Bett aus blassblauen Polster-Wülsten. Und wenn sie monologisiert von Hunden, Kindern, Müttern, später auch von „milchloser Mutter“ und „Milch gebendem Vater“, ist es, als schaue man ihr beim Denken zu. Später gesellen sich experimentelle, dann wieder gesangliche Piano- und Klarinettenklänge hinzu, während Heinrici – bald im üppigen Polster-Kostüm Bälle verteilend – gemeinsam mit Lisa Florentine Schmalz die Vielfalt von tierischen Reproduktionsstrategien und weiblichen Lebenswegen beschwört.
Die enorme künstlerische Qualität der freien Szene in Hamburg zeigt sich
Eine herrlich ironische feministische Selbstermächtigung – als zeitgenössisches Musiktheater. Und spätestens, wenn Schmalz ihren glockenhellen Sopran erklingen lässt, schlagen auch beim Publikum die Glückshormone Purzelbäume. „Dein Oxy“ ist das beste Beispiel für die enorme künstlerische Qualität, die die freie Szene in Hamburg mittlerweile hat.
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Jens Dietrich und Christine Grosche haben dem gemeinsam mit ihrem Team Rechnung getragen. Das Festival ist noch stärker in die Stadt hineingewachsen. Es war für die freie Szene da und hat sie gleichzeitig überregional stärker vernetzt.
Künftig soll das Festival noch internationaler ausgerichtet werden
Die im nächsten Jahr antretende, in Berlin basierte Leitung aus dem Komponisten und Performer Alexandar Hadjiev und der Regisseurin Ksenia Ravvina wird voraussichtlich versuchen, das Festival noch einmal internationaler auszurichten. Bleibt zu hoffen, dass es unter den derzeit prekären Vorzeichen in naher Zukunft auch noch eine freie Szene in Hamburg gibt, die sich so vital wie in diesem Jahrgang präsentieren und davon profitieren kann.
„Hauptsache frei“ bis 29.4., diverse Orte, Infos und Programm unter www.hauptsachefrei.de