Hamburg. Mit frischen Housebeats hat der DJ sich an alte Hippie-Songs gewagt – und ein Album kreiert. Auch eine andere Band gibt Einblicke.

Hans Nieswandt ist ein überaus umtriebiger Zeitgenosse, der sich der Erkundung und Weiterentwicklung von Popkultur verschrieben hat. Bekannt ist er unter anderem für seinen clubkulturellen Überhit „From Disco To Disco“ mit der Formation Whirlpool Productions, 1996 auf dem Hamburger Label Ladomat 2000 erschienen. Der DJ, Produzent und Autor leitete das Institut für Popmusik an der Folkwang Universität in Bochum, bevor es ins Epizentrum zeitgenössischer Pop-Innovation zog, nach Seoul.

In der südkoreanischen Hauptstadt hat er in den vergangenen Jahren auch an seinem neuen Album gearbeitet. Für „Flower Hans“ hat er Songs aus der Hippie-Ära neu interpretiert. Und zwar im Stil von Disco- und Housemusik. Das funktioniert absolut hervorragend.

Denn das freiheitliche Driften der Originale wird durch den betörenden Sog von Beats und Groove sogar noch unterstrichen. Von den USA über Deutschland bis eben nach Korea stellte er eine Band samt toller Sängerinnen und Sänger zusammen, die auf virtuellem Weg an den Stücken arbeiteten.

Albumkritik: "In "Flower Hans" werden alte Hippie-Songs neu interpretiert

Ein Hippie-Kollektiv 2.0 sozusagen. Umgemodelt wurden für „Flower Hans“ allerdings keine Genre-Klassiker, sondern unbekanntere Nummern von The Youngbloods, Fairport Convention, Bobbie Gentry oder Hirth Martinez. Das Ergebnis ist eine perfekte Platte für funkelnde Clubnächte und flirrende Sommertage. Ein feinsinniger wie eingängiger Referenzkosmos fernab jeglicher Stampf-Attitüde.

Und mit „Sweet Algorithm“ gibt es auch eine komplette Neuschöpfung zu hören, auf der Hans Nieswandt selbst mit entspannt verzerrter Stimme davon singt, gesellschaftliche und kulturelle Spaltungen zu überwinden. Hinreißend ist darüber hinaus auch das Albumcover, das einen Blumenladen eben namens „Flower Hans“ im Seouler Stadtteil Itaewon zeigt.

Kastrierte Philosophen: Neue Werkschau gerade erschienen

Einen weiteren Bogen aus vergangenen Dekaden hinein in die Gegenwart schlägt die Band Kastrierte Philosophen. Unter dem schönen wie schlichten Titel „Jahre“ ist nun eine Werkschau erschienen, die in das spannungsgeladene Schaffen dieser Independent-Instanz einführt.

Anfang der 1980er im niedersächsischen Verden gegründet, war diese stilistisch wunderbar offene Gruppe bis in die späten 1990er-Jahre aktiv. Unter anderem beheimatet waren sie damals bei der Hamburger Plattenfirma What’s So Funny About. Ihre Songs reichten von den dunklen, psychedelischen, wavigen und introvertierten Spielarten des Rock bis hin zu Electronica, Hip-Hop sowie Drum ’n’ Bass.

Und die beiden Hauptfiguren der Kastrierten Philosophen sind auch jenseits ihres gemeinsamen Wirkens in sub- und popkulturelle Kontexte verwoben: Matthias Arfmann als Produzent unter anderem von den Beginnern und Jan Delay, Katrin Achinger in verschiedenen Konstellationen wie mit der Band The Flight Crew und mit der Hamburger Formation Les Maries.

Albumkritik: Fesselnde und intensive Klänge, die wunderbar harmonieren

Die Sammlung „Jahre“ macht noch einmal den unbedingten Spirit des Ausprobierens hörbar. Allein wie Achinger in „Bou Jeloud (Father of Skins)“ in einem düsteren Bewusstseinsstrom zu treibender Percussion und Glockenspiel über eine Reise nach Marokko assoziiert, ist äußerst fesselnd. Und wenn mit „I Like The Way You Walk (Lurid)“ direkt im Anschluss reichlich lässige Atmosphäre im Geiste Lou Reeds herüberweht, sind das nur zwei von vielen Polen und Einflüssen.

Stets scheint in den durchaus eingängigen Nummern das Versprechen mitzuschwingen, dass ein aufrichtigeres Leben im künstlerischen Experiment möglich ist. Geklammert wird das Album von den aktuellen Kompositionen „Time“ und „Jahre“, die sich in ihrer kantigen Intensität vorzüglich in das übrige Werk einfügen. Womöglich ist dieser Rückblick also auch ein Neubeginn.

Hans Nieswandt: „Flower Hans“(erhältlich ab 17.3.), live am 16.3., 22.00, Golden Pudel Club;
Kastrierte Philosophen: „Jahre“