Hamburg. „The Who & The What“ ist erneut ein dramatischer Volltreffer. Ein bemerkenswertes Stück, das zu Diskussionen über den Glauben anregt.

Väter sorgen sich um ihre Töchter. Das ist wohl in allen Gesellschaften so. Afzal (Rohit Gokani) überspannt den Bogen allerdings deutlich. Denn der erfolgreiche Taxiunternehmer eröffnet für seine ältere Tochter auf der Internet-Plattform Muslimlove.com einen Fake-Account. Ohne deren Wissen natürlich. Zarina (Karen Johal) ist schon über 30 und soll dringend unter die Haube. Den Schwiegersohn sucht Afzal am besten selbst aus.

Besonders schräg findet er diese Übergriffigkeit nicht, denn er selbst wurde in der pakistanischen Heimat sogar zwangsverheiratet. Dass der Einwanderer mit seiner Familie inzwischen in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia lebt und die Zeiten sich geändert haben, ficht ihn nicht besonders an.

„Ein Treffen mit einem Brautvater hatte ich bisher noch nicht“, gesteht Bräutigam in spe Eli (Adam Collier), als beim Blind Date statt der erwarteten mandeläugigen Schönheit ein älterer Typ mit Baseballkappe auftaucht. Der quetscht ihn mit Fragen aus und will vor allem wissen, wie viel Geld Eli im Monat verdient.

„The Who & The What“: Im English Theatre sieht ein Vater rot

„The Who & The What“ vom pakistanisch-amerikanischen Autor Ayad Akhtar ist seit der Premiere 2014 weltweit an vielen Bühnen mit großem Erfolg inszeniert worden, die deutsche Erstaufführung besorgte Intendantin Karin Beier 2017 am Schauspielhaus. Jetzt ist das Kammerspiel wieder in Hamburg zu sehen, bis zum 3. Juni läuft es am English Theatre unter der Regie von Clifford Dean.

Seine Inszenierung steht der des großen Staatstheaters in nichts nach, im Gegenteil. Dean hat den Vorteil, dass drei seiner britischen Schauspielerinnen und Schauspieler pakistanische Wurzeln haben. Das verleiht ihnen eine höhere Authentizität als deutschen Schauspielern, die behaupten müssen, südasiatische Einwanderer zu sein.

Akhtars Zweiakter hat besonders im ersten Teil eine Reihe komischer Szenen, die sich aus der absurden Suche nach einem Bräutigam und den Kabbeleien zwischen den Schwestern ergeben. Die intellektuelle Zarina hat nämlich eine jüngere Schwester. Mahwish (Noor Sobka) ist allerdings ziemlich naiv und vor allem von dem Gedanken beseelt, endlich ihren Jugendfreund zu heiraten. Das geht allerdings erst, wenn zuvor Zarina eine Ehe eingegangen ist.

Provokation ist Ausgangspunkt eines Familiendramas

Ernst wird es nach der Pause: Zarina hat den zum Islam konvertierten Eli tatsächlich geheiratet und sie hat ihre wissenschaftliche Arbeit beendet. In der beschäftigt sie sich mit dem Verhältnis des Propheten Mohammed zu den Frauen, sie unterstellt dem islamischen Führer und Gesandten Gottes Unzulänglichkeiten und zerrissene Gefühle.

Eine enorme Provokation für jeden gläubigen Moslem und hier der Ausgangspunkt eines Familiendramas. Vater Afzal kann mit den feministischen und islamkritischen Überlegungen seiner Tochter nämlich nichts anfangen. Er ist ein beinharter Traditionalist, der alles daransetzt, das Erscheinen der provokanten Schrift zu verhindern.

Rohit Gokani zieht alle Register seiner Spielkunst, um seine Wut und seine Enttäuschung klarzumachen. Er schreit die Tochter an, er fällt vor ihr auf die Knie, ringt mit den Händen und fleht sie an, ihr Buch zu vernichten. Als sie unnachgiebig bleibt, verstößt Afzal sie. „Du bist nicht mehr meine Tochter!“, schreit er ihr hinterher.

Kritische Auseinandersetzung mit dem Koran und dem Propheten

Akhtar geht es in seinem Stück um den „Kampf zwischen einem geistreichen und einem gedankenlosen Glauben“, wie er in einem Interview formuliert hat. Afzal und Marwish stehen für diesen gedankenlosen Glauben, der nichts hinterfragt, Zarina hingegen steht für die kritische Auseinandersetzung mit dem Koran und dem Propheten. „Der Prophet ist nicht perfekt“, sagt sie.

In den USA kann sie so einen Satz aussprechen, in manchen arabischen Ländern würde sie dafür möglicherweise gesteinigt.

Karen Johal spielt Zarina als eine selbstbewusste und moderne junge Frau. Sie zeigt Gefühle, doch geleitet wird sie von ihrem messerscharfen Verstand. Sie hat Verständnis für den Vater und auch für die Eheprobleme ihrer Schwester, aber ihre Überzeugungen für eine heile Familienwelt aufzugeben, kommt nicht infrage.

Ihren Ehemann Eli spielt Adam Collier als ein ziemliches Weichei, er steht deutlich im Schatten seiner Frau und vermag sich auch gegen Afzal kaum zu behaupten. Noor Sobka überzeugt als immer etwas hilfsbedürftige kleine Schwester.

Mit „The Who & The What“ hat das English Theatre nach „The Pride“ erneut ein höchst sehenswertes Stück im Repertoire. Clifford Deans präzise Inszenierung regt zu Diskussionen an, erzeugt enorme Spannung und präsentiert ein glänzendes Schauspielerensemble.

„The Who & The What“ läuft bis 3.6., English Theatre, Lerchenfeld 14, Karten unter T. 040 2277089, www.englishtheatre.de