Hamburg. Das niederländische Ensemble Amsterdam Sinfonietta bewies seine Klasse mit Werken von Schubert, Mendelssohn, Haydn und Bach.
Kammerorchester. Was klingt wie ein Widerspruch in sich, birgt die schönsten musikalischen Möglichkeiten. Es hat die Wendigkeit und Individualität für die kleine Form, kann aber auch sinfonisch tun. Wie am Sonnabend im Großen Saal der Elbphilharmoniebeim Konzert der fabelhaften Amsterdam Sinfonietta zu erleben ist.
Ihr Gastspiel bei ProArtes Internationalen Solisten beginnt die 1988 gegründete Gruppe, die zu den renommiertesten Streichensembles der Niederlande zählt, mit einem wahren Knalleffekt aus der Feder des „Hamburger Bach“ Carl Philipp Emanuel (unter Musikern schlicht CPE). Das Allegro assai aus dessen Sinfonie G-Dur verwirrt schier die Sinne, so witzig ist es, so schwindelerregend virtuos das Gewimmel der Mini-Figürchen und so erlesen die Klangqualität. Das sollen moderne Instrumente sein? CPE’s Musik erträgt eigentlich keine Stahlsaiten. Es sei denn, man behandelt sie so subtil wie die Konzertmeisterin und künstlerische LeiterinCandida Thompson.
Elbphilharmonie: An manchen Stellen streift das Ensemble dicht am Kitsch entlang
Der Cellist Kian Soltani passt stilistisch nicht ganz zu der im besten Sinne historisch informierten Spielweise des Orchesters; in seine Wiedergabe von Joseph Haydns gefürchtetem Cellokonzert D-Dur mischt sich immer mal ein Vibrato der Vollfettstufe. Aber wichtiger: In der Lebendigkeit und Innigkeit des Zusammenspiels treffen sie sich. Soltani schüttelt die spieltechnischen Gemeinheiten, all die Oktavläufe und Staccatogirlanden so mühelos aus dem Ärmel, dass die Virtuosität zur – beeindruckenden – Nebensache wird und die musikalischen Gedanken hervortreten können.
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Soltanis exaltierte Bewegungen, den ständigen theatralischen Blick an die Saaldecke bräuchte es dazu gar nicht. Den langsamen Satz aus einer frühen Haydn-Sinfonie, ein Cellosolo mit Streicherbegleitung, singt er in zu Herzen gehender Natürlichkeit aus, genau wie die Bearbeitungen dreier Lieder von Mendelssohn Bartholdy und Schubert. Die Streicher entfalten in der ausgesetzten Klavierbegleitung eine betörende klangliche Raffinesse. Dabei streifen sie öfter mal am Kitsch entlang, aber hey, warum auch nicht?
Amsterdam Sinfonietta: Mit dem „Schwanenlied“ gibt es den versöhnlichen Abschluss
Vollkommen unkitschig, dafür markerschütternd, ist Mendelssohns letztes Streichquartett in f-Moll, das zum Abschluss in einer Orchesterfassung erklingt. Der Komponist schrieb es 1847 nach dem frühen Tod seiner Schwester Fanny und kurz vor seinem eigenen. Es geht hörbar um letzte Fragen. Hier marschieren gewalttätige Unisoni, die unversehens ins Geisterhafte kippen, dort verliert sich stillstes, traurigstes Dur. Keine Gefälligkeit, nirgends. Die Orchesterfassung vergrößert die Stimmungen wie unter einer Lupe. Bis in die höchsten Lagen, noch in den rasantesten Passagen klingen die Streicher wie aus einem Guss.
Nach dieser seelischen Parforcetour entlassen die Musiker das Publikum in der Elbphilharmonie mit einer Zugabe der anrührenden Art, nämlich der Instrumentalfassung von Fannys Opus 1, dem „Schwanenlied“. So schließt sich ein Kreis.