Hamburg. Euphorischer Applaus für Grigorian, Goerne, Peltokoski und Kammerphilharmonie Bremen. Konzert startete mit Warnung.

Was er gleich dirigiere, sei das Erschreckendste und Finsterste aus Schostakowitschs Werkkatalog, warnte Tarmo Peltokoski vor den ersten Tönen; es ginge dabei einzig um Tod und Krieg und Leid. Vor gut zwei Jahren wären es lediglich zwei dunkle Stücke dieses sowjetischen Komponisten gewesen, doch sie nun, in Zeiten wie diesen, zu spielen, sei das Beste, was wir tun können. Tragisch sei allerdings, dass sie heutzutage nicht mehr so relevant sein sollten, wie es sind.

Klare Worte und kein Schunkelprogramm also zum Abendausklang, ein bewegender, aufrührender Abend mit todernster Musik, die Wunden zeigt. Er endete mit euphorischem Beifall, weil dieses Programm keine Kompromisse machte oder oberflächlich beeindrucken sollte.

Elbphilharmonie: Stimm-Charaktere von Grigorian und Goerne ergänzen sich

2019 hatten Asmik Grigorian und Matthias Goerne die Vierzehnte von Schostakowitsch mit dem Ensemble Resonanz in die Elbphilharmonie gebracht; jetzt, mit der Orchesterfassung von dessen Streichquartett Nr. 8 als Vorspann weiter ins Existenzielle getrieben, war es die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen.

Grigorian und Goerne waren bei den Salzburger Festspielen ein bestechendes „Wozzeck“-Paar gewesen. Ihre Stimm-Charaktere ergänzen sich auch in dieser Sinfonie (die ja keine ist, weil sie aus lauter Gedichtvertonungen besteht): Sie die strahlend sich verströmende Erzählerin, der man fasziniert bis ins leiseste Piano folgt, er der stimmungszeichnende Gefühlskriegs-Berichterstatter, der mattschwarz in der Tiefe des Materials orgelt und dem nur selten Höhe und Licht vergönnt sind.

Peltokoski fällt bei seinem Elbphilharmonie-Debüt angenehm auf

Zunächst aber fiel Peltokoski bei seinem Elbphilharmonie-Debüt angenehm auf, sehr sogar. Mit gerade 22 Jahren ist er der derzeit jüngste Finne mit international steiler Karriere, fünf Jahre jünger als Klaus Mäkelä. Die Bremer haben sich dieses Talent sehr flott als den ersten Ersten Gastdirigenten ihrer basisdemokratischen Orchestergeschichte gesichert, nach nur wenigen Takten der Kammersinfonie versteht man auch, warum diese Eile beim Beziehungsaufbau: felsenfestes Selbstvertrauen, klare Linien und eine zielstrebige Intensität, die viel verlangt und viel kann, mit energischen Ganzkörper-Aktentsetzungen, die auch dem Publikum unmissverständlich klar machten, was hier auf den Pulten liegt.

So wurde aus dem personalintensivierten Streichquartett ein packendes Gespräch der vier Stimmen über letzte Dinge; ohne Scheu vor den schartigen, morschen, sich aufbäumenden Passagen, in denen Schostakowitsch seinen Protest gegen die äußeren Umstände festhielt.

Elbphilharmonie: Peltokoski mit Konzert-Programm ohne Happy Ende

Das Quartett ist die vertonte Innenschau eines unterdrückten Individuums, die Vierzehnte erzählt fast ein Dutzend Mini-Dramen von Leben und Tod, mit Texten von Federico Garcia Lorca, Apollinaire und Rilke, die Schostakowitsch zu einem geradezu apokalyptischen Poesiealbum bündelte.

Schicksalsgeschichten, bei denen Peltokoski den ohnehin kargen Orchesterapparat – überschaubar wenige Streicher, Schlagzeug und Celesta – noch weiter abdunkelte und ausdünnte. Ein filigranes Netz, das die zwei Stimmen so gerade eben noch aushielt. Konzertprogramme mit derart wenig Hoffnung auf Besserung oder gar ein Happy End braucht man ganz bestimmt nicht monatlich. Aber wenn, dann bitte auf diesem Niveau und mit dieser Eindringlichkeit.

Aufnahmen: „Schubert revisited“. Lieder, für Bariton und Orchester arrangiert. M. Goerne, Dt. Kammerphilharmonie Bremen (DG, CD ca. 17 Euro). „Rachmaninoff: Dissonance“ A. Grigorian / L. Genusias (alpha, CD ca. 19 Euro)