Hamburg. Der eigenwillige Philosophenfilm „Seneca“ ist schon wegen seines Hauptdarstellers John Malkovich grandios.
Wie Seneca starb, das weiß jeder. Auch wer nie etwas über den altrömischen Philosophen und begnadeten Redner gelesen hat. Denn da gibt es ja die berühmte Szene aus dem Sandalenfilm „Quo vadis?“, wo ein tobender Nero den Tod seines einstigen Ziehvaters beschließt – und der noch zu einem letzten Mahl zu sich lädt, sich vor aller Augen die Pulsadern aufschlitzt und noch im würdigen Sterben letzte Lebensweisheiten und Spitzen gegen den kaiserlichen Despoten zum Besten gibt.
"Seneca": Sehr schräger und experimenteller Arthousefilm
Aber ach! War ja vielleicht alles ganz anders. Das zumindest erzählt uns jetzt, über 70 Jahre nach dem Filmklassiker, eine neue Produktion, in der Seneca nicht nur eine schillernde Nebenfigur ist und sein Sterben den ganzen Film füllt. Geschrieben und inszeniert hat das der deutsche Regisseur Robert Schwentke, der in Hollywood schon knallige Actionfilme wie „Flightplan“ (mit Jodie Foster) und die „R.E.D.“-Filme mit Bruce Willis, John Malkovich und Mary-Louise Parker gedreht hat. Malkovich gibt in „Seneca“ die Titelfigur, und auch Frau Parker ist mit von der Partie.
Doch wer nun einen weiteren Hollywood-Reißer erwartet, wird enttäuscht. Schwentke legt absichtsvoll eine falsche Fährte. Den Zuschauer erwartet ein sehr spezieller, sehr schräger und experimenteller Arthousefilm, der keinerlei Action bietet, aber jede Menge Text und Wortlast. Auch das Setting ist gewollt verfremdet. Keine aufwendigen Kulissen also mit altrömischen Palästen. Sondern eine einzige Villa auf dem Land, Senecas Zwangsexil, die eher nach einem heutigen Landhaus aussieht. Nur Fenster müsste man noch einbauen.
Eine Tragödie in grellstem Sonnenlicht
Auch die Kostüme sind eher zeitlos und scheinen aus einem Theaterfundus geliehen. Tatsächlich ist „Seneca“ eher eine Theater-Performance, allerdings im Freien in pseudoantiken Kulissen. Die wie zum größtmöglichen Kontrast in extremen Breitwandbildern aufgenommen sind. Eine Tragödie in grellstem Sonnenlicht. Ein Kammerspiel in idyllischer Weite. Was die Verlorenheit der Hauptfigur nur umso mehr hervorhebt.
Man muss sich darauf allerdings erst mal einlassen. Und wird anfangs eher erschreckt, wenn nicht gar abgeschreckt. Denn in den ersten Minuten wird ein Wust an Fakten abgerollt, wie in einem Volkshochschulfilm, für den die namhaften Schauspieler reichlich überqualifiziert wären. Aber nicht als Historienstoff aus tiefster Vergangenheit wird erzählt, sondern ganz heutig, mit Verweisen auf die Gegenwart. Auf den antiken Mauern ist schon mal ein Graffiti mit Panzer zu sehen.
Der Kaiser wird als „Mr. President“ angesprochen. Und zupft auch nicht (wie Peter Ustinov in „Quo vadis?“) auf einer Leier, sondern schrammelt auf einer Art antiker E-Gitarre Rockmusik. Tom Xander gibt diesen Nero als bockig-sadistisches Kind, dem sein philosophischer Berater ebenso stoisch wie vergeblich versucht, Werte und Rhetorik beizubringen. „Schnauze halten“, herrscht der hitzköpfige Nero ihn dann nur an. Und nimmt ihn genüsslich in den Schwitzkasten.
"Seneca": Der Philosoph redet und redet – aber keiner hört ihm zu
Ganz bei sich selbst kommt der Film erst dann an, wenn Seneca bereits, in Ungnade gefallen, im Exil lebt. Da umgibt er sich mit seinem eigenen kleinen Hofstaat, zu dem die Filmstars Geraldine Chaplin und Julian Sands zählen, aber auch deutsche Schauspieler wie Lilith Stangenberg, Samuel Finzi, Wolfram Koch, Alexander Fehling und Louis Hofmann. Die lauschen den Weisheiten und Aperçus des Philosophen. Aber dieser Seneca ist eben nicht der weise Mann von Rom. Er hat sich da bereits als Opportunist der Macht erwiesen, als „Bonzen-Seneca“, der die damit verbundenen Privilegien genoss und sich im Nachhinein damit herausredet, ohne ihn wäre Nero noch viel schlimmer.
Noch schlimmer? Neros Verfolgungswahn geht so weit, dass er seine eigene Mutter Agrippina (Parker) ermordet. Und auch in Seneca sieht er einen Terroristen. Ergo schickt er einen Mörder – der Seneca immerhin die Chance gibt, durch eigene Hand aus dem Leben zu scheiden. Da wären wir also wieder bei „Quo vadis?“. Hier jedoch geht der Weg in eine andere Richtung. Seneca redet und redet, er hört gar nicht mehr auf. Aber die anderen hören nicht mehr zu. Sie bangen, mit ihm in Ungnade zu fallen, einer nach dem anderen stiehlt sich davon. Seneca schneidet sich auch die Pulsadern auf. Doch während seine Gefährtin (Stangenberg), die mit ihm aus dem Leben scheiden will, blutet und blutet, versiegen seine Wunden im Nu. Auch andere Formen des Suizids gelingen nicht. Die Tragödie eines lächerlichen Mannes, der nicht mal zu sterben weiß.
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"Seneca": Wohl letzter Auftritt von Malkovichs Freund Julian Sands
„Seneca“ ist eine bittere Farce, die viele Parallelen zu Diktatoren und Opportunisten der Jetzt-Zeit zieht. Nach seinen Hollywood-Auftragsarbeiten nutzt Schwentke seinen Nimbus inzwischen für ganz persönliche, ganz spezielle Filme, wie zuletzt „Der Hauptmann“, ein Albtraum über den Zweiten Weltkrieg. Der nun aktuelle, eigenwillige Beitrag zum Philosophenkino ist schon wegen John Malkovich grandios, der hier in ewig lange Einstellungen ohne jeden Schnitt redet. Dem Star könnte man ewig zuhören, von ihm ließe man sich auch das Telefonbuch vorlesen. Aber wie sich all diese Weisheiten dann doch nur als eitle Posen erweisen, das ist von großer Komik.
Überschattet wird der Film indes, weil dies wohl der letzte Auftritt von Malkovichs engem Freund Julian Sands ist. Der ist vor zwei Monaten von einer Bergwanderung nicht zurückgekommen und wird seither vermisst. Das Drama über den einsamen Tod eines Mannes erhält so ungewollt noch eine ganz andere Bedeutung.
„Seneca“, ab 12 J., 112 min., läuft im Passage, 3001, Abaton, Studio