Hamburg. Kritiken fatal, Regisseur unzufrieden – und dann? Leander Haußmann hat die Komödie radikal überarbeitet. Lohnt sich das Stück jetzt?

Die Kritiken waren, nunja, kritisch. „Wortgeschwurbel ohne dramaturgischen Bogen“ sah die „taz“, der NDR konstatierte eine „theatrale Bruchlandung“, und der Kritiker der „Süddeutschen Zeitung“ schimpfte über „fade Geschmacklosigkeit“ bei der Premiere des Stücks „Intervention!“ von Sven Regener und Leander Haußmann am 3. März im Thalia Theater. Auch diese Zeitung war ungnädig: „Eine Abfolge von für sich genommen lustigen Einfällen und einer wenig begründeten theaterästhetischen Nostalgie“, lautete das Abendblatt-Urteil.

Thalia Theater: Stück von dreieinhalb auf zwei Stunden gekürzt

Wie geht ein Theater mit solch einem Feedback um? Die übliche Reaktion wäre, klarzustellen, dass Kritiker keine Ahnung hätten und nicht einmal ignoriert werden sollten. Selten kommt es vor, dass Künstler eine direkte Konfrontation mit der Kritik suchen, so etwa, als der Hannoversche Ballettdirektor Marco Goecke kürzlich die „FAZ“-Kollegin Wiebke Hüster körperlich angriff. Und so gut wie nie erlebt man das, was jetzt am Thalia Theater passiert ist: Regisseur Haußmann, Autor Regener und das Ensemble setzten sich noch einmal zusammen und überarbeiteten die schon zur Premiere gekommene Inszenierung, kürzten die sich ursprünglich über knapp dreieinhalb Stunden schleppende Aufführung auf gut zwei Stunden.

Und nicht nur das: Haußmann ist auch noch zu einem Telefonat bereit. Fehler erkennen, Lösungen suchen, miteinander reden: so wichtig! Dass man Haußmann dann im Restaurant erwischt, wo er sich ausgerechnet ein Eisbein schmecken lässt, beweist: Sein Gespür für gut gesetzte Pointen hat den Berliner Theatermacher nicht verlassen.

Haußmann ist niemand, der eigene Fehlleistungen kleinredet

Haußmann zitiert Billy Wilder: Ob dieser sich jemals seine eigenen Filme anschauen würde, sei er einmal gefragt worden, und Wilder darauf: „Nein! Ich sehe nur Fehler!“ Charmant, mit welcher Chuzpe sich hier Haußmann mit dem Meisterregisseur vergleicht. Freilich: Er mag ein Schlitzohr sein, doch er ist niemand, der die eigenen Fehlleistungen kleinredet. „Ich wusste ja selber, dass die Inszenierung nicht fertig ist“, gibt er zu, allein: „Wir Regisseure sind auch nur Menschen und hoffen, dass ein Wunder passiert. Oder dass das zumindest nicht bemerkt wird.“ Bei „Intervention!“ freilich wurde es bemerkt, und deswegen läuft nun die neue, kurze Fassung.

Und man muss sagen: Die lohnt, nicht zuletzt, weil sie sich inhaltlich gar nicht massiv von der ursprünglichen Variante unterscheidet. Immer noch trifft sich eine Patchworkfamilie vordergründig zum Grünkohlessen, in Wahrheit aber, um den missratenen Sohn mittels des pädagogischen Konzepts der Intervention zurück auf den rechten Weg zu bringen. Wie schon bei der Premiere taucht der Sohn nicht auf, dafür aber ein Pizzabote, der kurzerhand die Rolle des Sohnes spielen muss. Und gegen Ende kippt diese Versuchsanordnung dann in einen Gewaltrausch – alles da! Und auch die wunderbaren Schauspieler um Jens Harzer, Gabriele Maria Schmeide, Marina Galic, Steffen Siegmund und, und, und dürfen als Ensemble glänzen. Nur mit einem Drittel weniger Zeit.

Auch die Pause wurde bei der Überarbeitung eliminiert

Wobei die Tatsache, dass man trotz der Kürzungen inhaltlich kaum etwas vermisst, einen Hinweis darauf gibt, wie viel Leerlauf in der Ursprungsfassung vorhanden war. Der ist jetzt eliminiert: Es gibt weniger Witzwiederholungen (auch wenn eine Komödie auch von einer gewissen inhaltlichen Penetranz leben kann), wenn der Vorhang fällt, werden keine Songs mehr von Element of Crime, der Band von Autor Regener, eingespielt. Schon sind ein paar Minuten gespart.

Ebenfalls eliminiert: die Pause. Die trennte bei der Premiere den boulevardesken ersten Teil vom tragischen zweiten Teil, und weil Leander Haußmann einer der talentiertesten Komödienregisseure im deutschsprachigen Raum ist, der die Tragik immer vom Lachen her denkt und das Lachen vom Schmerz, nimmt er den Fremdkörper Pause jetzt raus. „Mir war klar: Der größte Fehler war die Pause!“, meint er selbstkritisch. „Der Moment, wo das Stück zur Tragödie wird, ergibt sich aus der Komödie, ohne dass Erwartungen in der Pause aufgestaut und dann nicht erfüllt werden.“ Und die logische Folge aus dem Wegfall der Pause sind dann auch die Striche.

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    Bleibt die Frage, weswegen ein Routinier wie Haußmann, der seit 1990 in der ersten Theaterliga spielt, das nicht im Vorfeld erkennen konnte. „Das ist insofern schwierig, weil die Produktionszeiten so knapp geworden sind, dass man keine Fehler machen kann“, meint der Regisseur. „Wenn man einen Fehler macht und diesen revidiert, dann verliert man einen Tag Probenzeit.“ Einen Tag, den man sich an einem viel produzierenden Haus wie dem Thalia anscheinend nicht leisten kann. Versteht man allerdings eine Inszenierung als fertiges Produkt, das sich ab der Premiere nicht mehr verändern lässt, dann ist das fatal.

    Ironisch verweist der Regisseur auf seinen „Sommernachtstraum“ am Berliner Ensemble, bei dem er Wochen nach der Premiere entschieden hatte, den Wald zu streichen: „Es lohnt sich bei mir immer, später noch einmal vorbeizukommen.“ Freilich muss für so etwas auch Raum im Produktionsprozess sein. „Qualität hat auch etwas mit Zeit zu tun!“, betont Haußmann nachdrücklich, und man merkt, wie bitterernst es ihm hier ist.

    Im Gegensatz zur Premiere gab es in dieser Woche übrigens keine Buhrufe, stattdessen tosenden Applaus und ein gelöst lächelndes Ensemble: noch einmal die Kurve gekriegt! Das Publikum scheint ohnehin gnädiger als die Kritik – Thalia-Sprecherin Sabine Seisenbacher jedenfalls berichtet von einer beeindruckenden 92-Prozent-Auslastung bei den März-Aufführungen von „Intervention!“, die kurze Fassung am vergangenen Dienstag war praktisch ausverkauft.

    „Intervention!“ wieder am 30. März, 1. und 22. April, jew. 20 Uhr, Thalia Theater, Karten unter T. 32814444, www.thalia-theater.de