Hamburg. „Liebe Grüße .. oder wohin das Leben fällt“ läuft im im Studio Wiesendamm des Jungen Schauspielhauses.

Wie wäre es eigentlich, wenn man dem eigenen Vater als gleichaltrigem jungen Menschen begegnen würde? Ein verrückter Gedanke, aber genau dies widerfährt der jungen Anna. Eigentlich will sie ihren zunehmend verwirrten Großvater besuchen. Doch dann trifft sie dort auf Juri, einen Jungen, der behauptet mit seinem Vater in ebendieser Wohnung zu leben.

Der niederländische Theaterautor Theo Fransz nutzt die Tatsache, dass Menschen durch Generationen voneinander getrennt sind in Alter, Lebenswelt, Ansichten, um ein eigenwilliges Gedankenexperiment durchzuspielen. Sein mit dem Deutschen Kindertheaterpreis 2020 prämiertes Stück „Liebe Grüße .. oder wohin das Leben fällt“ ist jetzt in der Regie von Riccarda Russo im Studio Wiesendamm des Jungen Schauspielhauses zu sehen.

Theater Hamburg: Jara Bihler gibt der Anna mitreißende Lebensfreude

Die Uraufführung am Jungen Schauspielhaus Zürich entstand 2018 auf der Basis von Fragebögen, die Kindern, Eltern und Großeltern ausgefüllt hatten. Und diese durch das Leben beglaubigte Nähe ist dem Stoff bis in die Dialoge hinein wohltuend anzumerken – obwohl die Geschichte wie ein Science Fiction-Märchen anmutet.

Die wunderbare Jara Bihler gibt der zehnjährigen Anna eine mitreißende Lebensfreude. Die Wohnung des Großvaters ist von Ausstatterin Karolina Wyderka detailverliebt mit Retro-Möbeln gestaltet. Mit bewegender Genauigkeit gibt Hermann Book Großvater Georg, in dessen Reden und Handeln tiefe Risse in Gedächtnis und Wahrnehmung sichtbar werden. Mal trägt er nur einen Hausschuh und die Wolljacke sitzt schief. Mal läuft er zum Bahnhof, um den eigenen Vater abzuholen – der aber ist lange tot.

Theater Hamburg: Mauchle beweist seine Vielseitigkeit und enorme Präzision

Anna steckt als liebevolle Enkelin auch seine Granteleien mit Humor weg. Emotionaler reagiert ihr von Severin Mauchle gegebener Vater, der nun den Umzug Georgs ins Pflegeheim bewältigen muss. Mauchle beweist seine Vielseitigkeit und enorme Präzision, wenn er sich minutenschnell in den jungen Juri verwandelt. Wie in einem Traum begegnen einander Vater und Tochter im gleichen Lebensalter, umkreisen sich eine ganze Weile misstrauisch, bevor sie sich sogar anfreunden.

Nach und nach kommen Familiengeheimnisse ans Licht. Denn Juris Kindheit ist geprägt von der Abwesenheit der eigenen Mutter. Das Gefühlschaos, in das ihn diese Leerstelle und der Verlust gestürzt haben, lässt sich nur erahnen. Die Mutter Tira erscheint hier auf Zelluloid gebannt auf alten Filmrollen, lachend und winkend in Amsterdam oder Venedig. Eine Weltenbummlerin und Vagabundin sei sie gewesen, erfährt Anna. Die Wahrheit dahinter enthüllt sich erst im Laufe des Abends. „Liebe Grüße … oder wohin das Leben fällt“ ist in der geradlinigen Regie von Riccarda Russo und dem herausragenden Spiel des Darsteller-Trios ein zutiefst berührender Theaterabend, der sich mit erstaunlicher Leichtigkeit über Generationengräben hinwegsetzt.

„Liebe Grüße…oder wohin das Leben fällt“ weitere Vorstellungen ab dem 23.3., Studio Wiesendamm im Jungen Schauspielhaus, Karten unter T. 24 87 13; schauspielhaus.de