Hamburg. Der Künstler Caglar Yigitogillari sorgt mit seiner Performance für eine bedrückende Atmosphäre. Wie weit wird er noch gehen?

Angeblich soll der Philosoph Friedrich Nietzsche 1889 in Turin ein Droschkenpferd vor der Peitsche eines jähzornigen Kutschers beschützt haben, am Folgetag habe er einen Zusammenbruch erlitten und sei daraufhin in geistige Umnachtung verfallen. Caglar Yigitogillari steht auf der Bühne des Lichthof Theaters und erzählt die Anekdote vom Turiner Pferd, nüchtern und melancholisch, während er mit Gitarre, E-Bow und Loopbox eine sparsame Melodie erzeugt.

Die Soloperformance „Critical Zone“ ist die Erweiterung eines kurzen Stücks, das Yigitogillari vergangenen Monat bei der „Langen Nacht der Weltreligionen“ im Thalia Theater zeigte. Und zwar eine Erweiterung, in der es ans Eingemachte geht: Nach dem schon bekannten, musikalisch-literarischen Einstieg legt der Performer die Gitarre beiseite und beschreibt eine Art umgekehrte Schöpfungsgeschichte: Am sechsten Tag schafft Gott den Menschen, am ersten Tag wird es Licht. Und was dann folgt, ist Dunkelheit, Nichts. Womit man wieder bei Nietzsches Nihilismus wäre.

Lichthof Theater: Große Dunkelheit – und dann fließt Blut

Yigitogillari beschreibt diesen Sturz ins Nichts so minimalistisch wie drastisch. Der nackte Künstler wickelt sich in eine halbdurchsichtige Folie ein und keucht den Text mit zunehmender Atemnot ins Mikro, sparsamer Lichteinsatz und die von der Loopbox wieder und wieder abgespielte Gitarrenmelodie tun ihr übriges, um eine bedrückende Stimmung zu erzeugen.

Der Mensch als Kreatur, die schwitzt, die leidet, die sich nur unter Mühen durch den Raum bewegt: Das verweist auf die Body Art der 1970er und damit auf eine mittlerweile etwas gestrig wirkende Exzessästhetik, andererseits aber auch auf die hochenergetische Körperkunst, mit der auf Kampnagel Florentina Holzinger Ballett und Tanztheater einen Spiegel vorhält. Wie auch immer – spätestens als Yigitogillari seine Haut aufritzt und Blut über seinen nackten Körper laufen lässt, hat er einen Eindruck davon vermittelt, wie weit er zu gehen bereit ist, um eine möglichst ungemütliche Stimmung zu erzeugen.

Caglar Yigitogillari, geboren 1977 in Ankara, ist gelernter Schauspieler, der zudem eine Tanzausbildung in Australien absolvierte. Ab 2003 arbeitete er 14 Jahre fürs Istanbuler Stadttheater, bis er dem klassischen Drama den Rücken kehrte, um performativer zu arbeiten – seit 2017 in Deutschland. „Critical Zone“ kann dabei als Höhe- wie Endpunkt gesehen werden: Am Ende steht die absolute Perspektivlosigkeit. Eine Position, aus der sich Yigitogillaris Kunst in Zukunft dann wieder herausarbeiten muss. Es wird spannend, ihn dabei zu begleiten.