Die Ex-Kinderfilmstars Lina Larissa Strahl und Nina Chuba sind mittlerweile die Speerspitze des deutschen Pop. Beide haben neue Alben.
Christina Aguilera, Britney Spears und Justin Timberlake gehören zu den größten Popstars der vergangenen 20 Jahre – und alle drei begannen ihre Karrieren als Kinder in der Disney-Fernsehshow „Mickey Mouse Club“. Aber der Weg von der Kamera vor das Mikro und auf die Konzertbühnen muss nicht nur in den Vereinigten Entertainment-Staaten so kurz wie erfolgreich sein, auch in Deutschland funktioniert die mediale Metamorphose, wenn die Rahmenbedingungen Talent, multimediale Präsenz und auch ein wenig Glück stimmen. So wie bei Lina und Nina Chuba, die beide neue Alben veröffentlicht haben.
Lina Larissa Strahl, von Hannover nach Hamburg gezogen, ist jetzt mit 25 Jahren und ihrem vierten Album „24/1“ schon – in Popkategorien gedacht – lange dabei. Sechs Jahre ist es her, dass sie zuletzt als Hauptdarstellerin der ersten vier „Bibi & Tina“-Filme vor der Kamera stand. Detlev Bucks Kassenschlager und die nicht minder erfolgreichen Soundtracks, auf denen Lina sang, waren ein ordentlicher Anschub für ihre Solokarriere. Die Fans wurden zusammen mit ihr erwachsen, und neue Generationen kommen, da die Pferdehexe weitere Abenteuer mit neuen Darstellerinnen erlebt, nach. Auch Lina kehrte 2022 mit dem Musikfilm „Alle für Ella“ auf die Leinwand zurück.
Lina überrascht mit Melancholie und Zweifeln statt Zuckerpop
Aber die Frau, die in ihren frühen Songs noch Glitzer auf Rückschläge streute, ist über die Zeit der Sorglosigkeit hinaus, in der man noch mit Capri-Sun und Calippo-Eis in beiden Händen Leben, Lieben und Sonnenuntergänge feierte und dabei lachend auf einer leeren Kreuzung lag. Schnappschüsse im Handyspeicher, die eine Blackbox vor dem Absturz sind. Lina beschreibt in „Lost Kids“, „Kakao“, „Blackbox“ oder „Offenes Verdeck“ das Gefühl der verlorenen Unbeschwertheit und das Überstehen der ersten Verluste.
Egal, ob Lina mit ihrer Produktionscrew (u.a. Benjamin Bistram, Daju, David Bonk und Julia Bergen) ruhige Ballade oder durchzugstarken Powerpop wählt, Melancholie und Selbstreflektion durchziehen die zwölf Lieder in einer schon plakativen Konsequenz. „Lina, was ist los mit dir?“, fragt sie sich selber, unterlegt von brettharten Gitarren: „Ich bin ein schlechter Mensch, ich bin ‘ne schlechte Tochter, und werde irgendwann ‘ne schlechte Mutter sein. Mein Freund? Kein Plan, warum er mich je gemocht hat“.
Das ist so offen wie heftig. Klar, es passt in die aktuelle Pop-Ära, in der Gefühle, Zweifel, Depressionen schonungslos offengelegt werden. Aber im Anschluss an die Alben „Official“ (2016), „Ego“ (2017) und „R3bellin“ (2018) ist das nach fünf Jahren Pause eine Wende, die man nicht nur als Fan erstmal verarbeiten muss. Einfach wegkonsumieren wie die älteren Lieder „Glitzer“ oder „Egoist“ ist nicht drin. Das macht „24/1“ zu Linas bemerkenswertestem und bestem Album. Aber ob das für die Spitze reicht, die sie mit „R3bellin“ nur ganz knapp verpasste?
Nina Chuba ist einer aktuellen deutschen Pop-Hypes
Wohl eher nicht, denn da ist auch noch Nina Chuba. Keine Konkurrentin, völlig anders musikalisch gepolt, aber doch derzeit der absolute Hype, an dem kein Weg vorbei führt, vor allem nicht wenn es nach ganz oben gehen soll. Mit „Glas“ ist gerade das erste Album der in Wedel geborenen und mittlerweile in Berlin lebenden 24-jährigen erschienen und direkt auf Platz eins der Album-Charts gelandet.
Schon ihre EPs „Power“ (2020) und „Average“ (2021) und die ersten veröffentlichten „Glas“-Songs, allen voran „Wildberry Lillet“ drehten alles auf links, sowohl Zugriffszahlen und Kommentarspalten von YouTube bis TikTok, von Spotify bis hin zu Hip-Hop-Blogs. Da ist richtig Feuer drin, in medialen und kommerziellen Dimensionen.
Ganz großes Kino. Wobei Nina Chuba alias Nina Katrin Kaiser auf der Leinwand nur im Spielfilm „Arschkalt“ (2011) zu sehen war. Dafür kennt man sie als Marie Krogmann in der Hamburger TV-Serie „Die Pfefferkörner“ (2008) und vielen weiteren Produktionen, zuletzt 2021 in „Bettys Diagnose“. Aber anders als bei Lina Larissa Strahl ist das absolut kein Thema, wenn über ihre Musik gesprochen wird. Es ist auch durchaus möglich, dass „Glas“ die Schauspielerei komplett in Scherben wirft, so unfassbar perfekt ist ihr Debütalbum getimt, gesungen, gerappt und produziert. Eine steile Rampe.
Peter Fox ist ein hörbares Vorbild von Nina Chuba
Nina Chuba mischt alles in ihren akustischen „Wildberry Lillet“, in ihren „Mangos mit Chili“, was in den letzten Jahren sowohl im Underground als auch im Mainstream den Ton angab und angibt: Hip-Hop, Dancehall und Trap, Autotune und Beatgewitter und moderne Strömungen aus den afrikanischen Clubs zwischen Dakar und Kapstadt wie Amapiano-Sounds, die auch Peter Fox auf seinem letztjährigen Solo-Comeback-Hit „Zukunft Pink“ zitierte. Nina Chuba ist auch ein Riesenfan von dem Song. Und was Eingängigkeit, Texte und gewitzte Produktion betrifft, ist sie da mit ihrem Produktions- und Songwritingteam (Michael Burek, Aside, Dokii, Wanja Bierbaum und viele mehr) absolut auf Augenhöhe.
Beispielhaft ist das Lied „Glatteis“. Es beginnt als Piano-Ballade, steigert sich dramatisch mit einem überraschendem Tempowechsel mit einer Abbremsung wie mit 200 km/h gegen einen Autobahn-Brückenpfeiler, um dann mit hitzigen Beats wieder durchzustarten. Nina Chuba singt auf der ganzen Platte im Prinzip „ist mir alles scheißegal“, sie geht mit beiden Händen am Klangregal entlang und langt zu, feuert ihre Reime ab und pfeift auf jeden Respekt. „Ich hass dich“, dürfte zu Hymne sein für alle, die genug haben von Insta-Schönlingen im Bentley, denen nie das Herz gebrochen wird, wie das EKG beweist. „Merkt denn niemand, was du sagst? Ist alles Plastik“, flucht sie und inszeniert sich in ihren Clips als Berliner Asi-Göre, die mit ihrer Posse durch Betonwüsten streift, durch die Nacht zieht „wie ein Linienbus“ und sich da sehr wohl wühlt.
Umgedrehtes Mackertum, das bei einer Rapperin wie Nura sicher glaubwürdiger wirkt, aber trotzdem mit einem enorm hohen Energieniveau bestens unterhält. 18 Tracks voller Stärke und mit wenig Verletzlichkeit, außer im Albumfinale „Alles gleich“: „Hätt nie gedacht, dass es klappt mit Musik, sollte eigentlich glücklicher sein, aber ich weiß: Am Ende bleibt es alles gleich“ – das Mädchen aus der Kleinstadt sucht das Glück und findet keins.
Im April und Mai singen Lina und Nina live in Hamburg
Einst hätte Nina Chuba alles gegeben für ein Stück des aktuellen Hypes. Jetzt heißt es Abliefern, ein ewiger Rausch aus Omnipräsenz in den sozialen Medien, Songs verbreiten, Fans beglücken, den ebenfalls auf diesem Erfolgsniveau entstehenden Neid und Hass abperlen lassen, bei Kopfschmerzen eine „Ibu 600“ und weiter Gas geben in einer Welt, die einen mit 200 km/h bei Glatteis über die Autobahn jagt. Mit offenem Verdeck.
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Von jung an standen und stehen Lina und Nina Chuba im Scheinwerferlicht, am 15. April singt Lina in der Fabrik, Nina Chuba hat bereits am 14. Mai die Große Freiheit 36 ausverkauft. Sie behaupten sich in der Seelen- und Knochenmühle-Popgeschäft, jede auf ihre Art. Früher hätte man gesagt: Das Leben ist kein Ponyhof.
Lina: „24/1“ Album (BMG Rights) im Handel, Konzert: Sa 15.4., Fabrik, Karten zu 45,- im Vorverkauf
Nina Chuba: „Glas“ Album (Jive) im Handel, Konzert: So 14.5., Große Freiheit 36, ausverkauft