Hamburg. Erfolgreiche Schauspielerin, erfolgreiche Sängerin, Hunderttausende Follower – und dabei den älteren Semestern kein Begriff.
Es dauert einige Minuten, dann verstummen die Gespräche an den anderen Tischen im Café Schmidt in Othmarschen. Neugierige lauschen einer 19 Jahre jungen Frau, die von ihrem Spaß im Tonstudio erzählt, von ihrer ersten Tournee, ihrer Filmkarriere. Man kann es in den Gesichtern der Umsitzenden arbeiten sehen: Wer ist das? Dabei ist Lina Larissa Strahl aus Seelze bei Hannover in ihrer Zielgruppe der Zehn- bis 18-Jährigen ein Superstar, für gewöhnlich sorgt sie bei öffentlichen Auftritten und Autogrammstunden für Tumulte. Schließlich spielte sie die Hauptrolle der Bibi Blocksberg in den vier von 2014 bis 2017 erschienenen „Bibi und Tina“-Kinofilmen.
Nie ist die Leidenschaft für junge Stars, für Boybands wie Why Don’t We, Sänger wie Marcus & Martinus oder Shawn Mendes, den „Deutschen Justin Bieber“ Lukas Rieger und Mike Singer oder für Sängerinnen wie Jasmine Thompson und Grace VanderWaal größer als in jungen Jahren. Wenn YouTube-Phänomene wie Felix von der Laden, ConCrafter oder Enyadress sich in der Kölner Lanxess Arena versammeln, pilgern Tausende hin. „Bibi und Tina“, „High School Musical“, „Hexe Lilli“ oder „Die Pfefferkörner“ füllen die Kinos, Beauty-Bloggerinnen wie Dagi Bee und Bianca Heinicke, die Generation „Influencer“, leeren die Taschengeld-Börsen.
Geschlossene Systeme von Fangemeinden
Und sie einen in sich geschlossene Systeme von Fangemeinden, die von den Eltern entkoppelt über soziale Netzwerke, Fan-Foren und WhatsApp-Gruppen ungezählte Gleichgesinnte finden. Sie lassen keine „Bravo“ mehr herumliegen und hängen keine Poster mehr auf, sodass sich Eltern schwer auf Stand bringen können, wer zum Geier Die Lochis, Lisa und Lena oder Lina Larissa Strahl sind. Aber die Jugend singt „Lach mich aus, doch ich kauf’s, ist da ein Einhorn drauf, nananana, na und, na und?“.
Das singt auch Lina auf ihrem Pop-Album „Ego“. Denn die Hauptrolle als einst in den Hörspielen kleine, in den Filmen längst pubertierende Hexe Bibi Blocksberg ist für Lina eher ein Job. Ihre größte Leidenschaft ist Musik. Bereits 2013 gewann sie mit dem Lied „Freakin’ Out“ den KiKA-Wettbewerb „Dein Song“, anschließend sang sie auf den „Bibi und Tina“-Soundtracks und 2016 auf ihrem ersten Album „Official“. Jetzt ist der Nachfolger „Ego“ erschienen und auf Platz vier in den Charts eingestiegen, und Lina blickt mit 19 Jahren auf den doppelt erfüllten Traum vieler Teenager zurück: Filmstar sein, Popstar sein.
Alles erreicht im Leben
Lina hat beides und damit schon alles erreicht im Leben, aber Lina lacht bei der Frage nach der baldigen Rente: „Ich habe noch viele Träume und möchte als Schauspielerin und Sängerin noch viel mehr erreichen. Wobei das Schauspiel vom Hobby zum Beruf geworden ist, aber mein Herzblut steckt vor allem in der Musik.“ In den Filmen spielt sie eine vorgegebene Rolle, spricht vorgegebene Texte, ist Teil eines riesigen Getriebes.
Als Sängerin ihrer Glitzer-Electro-Pop-Songs wie „Dreist“, „Tanzen ist Gold“ oder „100 Prozent“ ist sie zu 99 Prozent Lina: „Es muss immer noch ein Restschutz zwischen der öffentlichen und der privaten Lina bleiben. Die Lieder sind natürlich von meinem Leben inspiriert, aber nicht autobiografisch. Sie beruhen auf einer künstlerischen Ebene auf wahren Begebenheiten.“ Und „keine verkörpert derzeit die Freude am Jungsein erfrischender als Lina Larissa Strahl“, wie die „FAZ“ schrieb.
Altes Erfolgsgeheimnis
Wenn sie über ihre Songs spricht, die sie zusammen mit professionellen Produzenten und Textern komponiert, ist Lina hoch konzentriert, denn es kommt offenbar noch selten vor, dass sich Journalisten mit ihr über Songs, Texte, Arrangements, Musikstile, Vorbilder (Taylor Swift und Avril Lavigne) oder Bands wie Metallica, Police oder Foo Fighters auseinandersetzen. Bands, die wie Lina bereits in der Hamburger Markthalle aufgetreten sind. Obwohl sie sich eher daran begeistert, auf der gleichen Bühne wie die junge Pop-Punk-Band All Time Low zu spielen. Auch so eine Generationenfrage.
Dabei ist eines der Erfolgsgeheimnisse von Lina so alt wie die Popmusik selber. Bereits Elvis Presley oder Freddy Quinn heizten ihre Filmkarriere mit Musikhits an und umgekehrt. Crossmediale Vermarktung würde man es heute nennen. Und Linas Popularität beruht auf der Marke „Bibi und Tina“, einer Gelddruckmaschine. Von 1991 an verband sie als Ableger für Teenager die populäre Kinderhörspielreihe „Bibi Blocksberg“ mit dem – kein Klischee – Wichtigsten im Mädchenleben: Pferde. Fohlen. Reiterhöfe. 86 Folgen „Bibi und Tina“ wurden seitdem bislang aufgenommen, „Bibi Blocksberg“ bringt es seit 1980 auf 122 Folgen.
Fans versammeln sich in sozialen Netzwerken
Dazu kommen Bücher, Hörbücher und Zeitschriften, Zeichentrick- und Spielfilme, Apps, Computer- und Gesellschaftsspiele und drei Musicals. Es ist ein Selbstläufer mit immer neu nachwachsenden Fangenerationen, die irgendwann zu Elterngenerationen werden. Nicht schlecht für eine kleine Hexe aus Neustadt (wo auch Benjamin Blümchen lebt), die jedes Problem mit Köpfchen oder zur Not auch mit Zauberei lösen kann. Und die vier Kinofilme, in Szene gesetzt von Detlev Buck, erreichten ein Millionenpublikum.
Wobei die meisten aktuellen Bibi-Fans wahrscheinlich ratlos auf eine klassische Hörspielkassette blicken würden. Was ist das? Wo ist der Touchscreen? Und wo ist der Like-Button? Die „Bibi und Tina“-Hörspiele werden mittlerweile heruntergeladen oder gestreamt, und die Fans versammeln sich nicht nur auf dem Schulhof, sondern auch in den sozialen Netzwerken. Dort, wo man auch Bibi Blocksberg, sprich Lina Larissa Strahl, persönlich „begegnen“ kann. 460.000 Anhänger folgen ihr auf Instagram, das sind zwar nicht 104 Millionen wie bei ihrem Idol Taylor Swift, aber für die Kürze ihrer Karriere schon beachtlich. Bei Facebook, das für die jüngsten Surfer nur noch ein uncooles Sudel- und Sammelbecken für frustrierte Alte ist, sind nur 26.000 dabei. Bei Twitter ist es um Lina auffällig still.
Aber die 460.000 Instagram-Follower begleiten und kommentieren ihre geteilten Musikclips, Filmtrailer und privaten Einblicke von Dreharbeiten bis zum Kleiderschrank (Kommentar von „fangirllochi“ zu einem pinken Kostüm: „cooles aut fit“). Dabei setzt sich Lina nicht unter großen Druck, die Neugier der Fans bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu stillen. Aber während Elvis in Graceland abgeschottet wurde, bedeutet Linas Öffentlichkeit in den sozialen Netzwerken auch die direkte Kombination mit Neidern, Trollen, Hasskommentaren. „Eine Meinung zu haben oder kritisch zu sein ist sehr wichtig“, sagt Lina nachdenklich, „aber wenn es persönlich wird, dann trifft mich das.
Hass nicht persönlich nehmen
Bei ,Bibi und Tina‘ geht das noch, weil ich zu der Rolle einen größeren Abstand habe und Hunderte an so einem Film mitarbeiten. Aber wenn ich ein Jahr an einem Album arbeite und Leute sagen, ich könne überhaupt nicht singen oder würde nur kopieren, dann finde ich das beleidigender, als wenn jemand ,Bibi ist fett und hässlich‘ postet.“ Es gab bereits mehrere Gruppen und Seiten, die nur erstellt wurden, um sich im persönlichen Hass oder auch Eifersucht auf Linas Freund, den Lüneburger Schauspieler Tilman Pörzgen („Bibi und Tina: Mädchen gegen Jungs“), zu vereinen. „Da frage ich mich schon: Wie weit ist es gekommen?“
Hass nicht persönlich zu nehmen, ihn sogar als Art Kompliment anzusehen („Das muss man erst mal schaffen“), hilft über den Ärger hinweg. Natürlich juckt es manchmal in den Fingern, darauf zu antworten, aber „ich bin ein wenig abergläubisch und habe große Angst vor schlechtem Karma. Was immer du tust, kommt irgendwann zu dir zurück.“ Eine Einstellung, die noch hilfreich sein kann. Das Internet vergisst nichts, da nützen auch keine Magie und kein Zauberbesen. Eene meene mei, lösch das Posting, Kartoffelbrei! Hex, hex!
Fallen, die der Ruhm stellt
Viele Teenagerstars wie Justin Bieber oder Selena Gomez, Miley Cyrus oder Britney Spears haben irgendwann auf die eine oder andere Art die Kontrolle über sich, ihr Leben, ihre Persönlichkeit und ihr Image zumindest zeitweise verloren, aber anders als bei früheren Jungstars wie Macaulay Culkin oder Drew Barrymore werden Ausfälle und Skandale heutzutage in Echtzeit mit millionenfach geteilten Videos und Fotos ausgeschlachtet, beurteilt und verurteilt. Die Frage, ob das bei der Entfaltung eines Lebensstils hinderlich oder hilfreich sein kann, muss jeder junge Star für sich selber beantworten.
Lina ist aber auch nicht der extrovertierte Typ, wie sie von sich sagt. Auf Konzerte geht sie nicht sehr oft, auf Festivals als Besucher überhaupt nicht: „Ich mag auch große, betrunkene Menschenmassen nicht so sehr. Ich tanze lieber auf einer Geburtstagsparty und genieße eher einen Spieleabend als auszugehen.“ Ihr Leben bietet auch so Abwechslung genug. Alben, Tourneen (am 15. März tritt sie in der Großen Freiheit 36 auf), PR-Termine, Filme, soziale Medien, nebenbei das Abitur gemacht – auf den ersten Blick ist das viel Karriere und wenig Kindheit. Ist sie nicht, um ein Songzitat von ihr zu benutzen, „zu jung für den Scheiß“?
Als Persönlichkeit und Künstlerin reifen
„Für das Abi sicherlich nicht und alles andere auch nicht. Ich bin dankbar dafür und stehe voll dahinter. Und ich bin zwar jung, aber keine Puppe.“ Demnächst möchte sie in Hamburg ihr Studium beginnen, und zwar nichts mit Musik: „Geschichte und Englisch waren meine Lieblingsfächer. Und ich kann zwar singen und etwas auf der Gitarre oder am Klavier rumklimpern, aber Noten lesen fällt mir sehr schwer. Schlagzeug finde ich auch toll, aber leider bin ich der absolute Takt-Tollpatsch.“
Lina wird ihren Weg gehen, älter werden, reifen als Persönlichkeit und Künstlerin. Aber nun kommen die schwersten Schritte. Einen fünften Teil der „Bibi und Tina“-Filme soll es nicht geben. Und viele junge Fans zu haben ist Vor- wie Nachteil zugleich. Schnell werden die Stars und ihre Fans älter und entfremden sich wie Schulfreunde. Neue Städte, neue Menschen, neue Vorlieben, neue Lieben und neue Leben. Mancher Teenager wird ein Riesenstar wie Adele oder Ed Sheeran, vielleicht auch Lina.
Andere begnügen sich nach großem Rummel mit einer soliden Karriere wie Lena Meyer-Landrut oder Tokio Hotel. Die nächste Generation wächst mit ihren eigenen Idolen heran. Und irgendwann nimmt ein aktueller Rapper namens Kanye West mit einem netten Senior einen Song namens „Only One“ (2015) auf. Und die Jugend postet ratlos: „Wer zum Geier ist Paul McCartney?“