Hamburg. Im Opernloft erfährt Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ eine Aktualisierung. Das Publikum ist begeistert.

Sie tritt auf wie eine Grande Dame. Mit einem breitkrempigen roten Hut, einem eleganten Mantel und hochhackigen Pumps. Begleitet wird sie von ihrer Tochter und ihrer Enkelin. Doch Grete (Sylvia Bleimund) betritt kein Opernhaus, sondern ein Pflegeheim. Sie wehrt sich und möchte das Zimmer verlassen, aber die Tochter stößt sie rüde auf das Bett. Es folgt ein herzzerreißender Abschied von der Enkelin, dann ist Grete allein. Schwestern kommen, ziehen ihr das Kleid aus und eine graue unförmige Jogginghose an. Die bequemen Puschen verweigert sie und nimmt ihre Schuhe mit ins Bett.

Diese stumm gespielte Eingangsszene ist Teil eines radikalen Entwurfs, mit dem Regisseurin Inken Rahardt sich im Opernloft Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ nähert. Die Kinder aus dem Märchen sind alt geworden, Hans und Grete leben in einem Altenheim und sind dement.

Opernloft: Hänsel und Gretel im Altenheim

Rahardts kluge Inszenierung zeigt die anstrengende Routine der drei Pflegerinnen (Rebecca Aline Frese, Sophie-Magdalena Reuter und Rocio Reyes), die alles versuchen, um Grete und den ebenfalls dementen Hans (Tilman Birschel) mit Musik, Tänzen oder Vorlesen anzuregen und die Krankheit zu verzögern. Auf Obertiteln (Susann Oberacker) gibt es Informationen darüber, was Alzheimer/Demenz bedeutet. Auch die Ängste und der zunehmende Verlust der Identität der beiden Protagonisten werden durch die Projektionen gezeigt und verstärkt. Blitze und bedrohliche Kreaturen sind Bilder für das Chaos im Kopf von Hans und Grete.

Amy Brinkman-Davis, die während der Premiere am Klavier sitzt, hat sich Humperdincks Oper vorgenommen und neue Arrangements für eine Triobesetzung mit Klavier, Cello (Tristan Xavier Köster) und Horn (Bethany Kutz) geschrieben. Sehr geschickt baut sie eine Reihe von deutschen Volksliedern in die Partitur ein. Das Trio musiziert so famos wie zurückhaltend, die vier Sängerinnen und Tenor Birschel überzeugen ebenfalls. Erstaunlich sind die hohen und klaren Töne, die Sophie-Magdalena Reuter erreicht, aber auch die anderen Sängerinnen stehen ihr kaum nach. Mit den drei jungen Künstlerinnen, die auch in anderen Produktionen im Opernloft zu hören sind, verfügt die private Bühne über hoch talentierte Nachwuchskräfte: Das fünfköpfige Ensemble kann nicht nur singen, es kann auch hervorragend spielen.

„(K)ein Märchen für Erwachsene“ steht auf dem Titel des Programmhefts. Motive der Geschichte von Hänsel und Gretel, die sich im Wald verirren und auf eine böse Hexe treffen, finden sich in dieser Fassung, aber Demenz ist alles andere als märchenhaft. Die Oper „Hans und Grete“ berührt in ihrer Ernsthaftigkeit und ihrer großartigen musikalischen und inszenatorischen Umsetzung. Am Ende der Premiere werden alle Beteiligten mit Beifall überschüttet. Zu Recht.

„Hans und Grete“ nächste Vorstellungen am 3., 12. und 17.3., 16.4., Opernloft, Van-der-Smissen-Straße 4; Karten: www.opernloft.de