Hamburg. Die Premiere am Opernloft war etwas hölzern. Produktion wurde auf 90 Minuten und drei Personen eingedampft.

Wie weit lässt sich ein altes Stück modernisieren, ohne dass es sein Gesicht verliert? Bis wohin kann man es verfremden, ohne zu verfälschen? Solche Fragen aufzuwerfen, gehört zum Kerngeschäft vom Opernloft. Jener Spielstätte im Alten Fährterminal Altona, die ein möglichst breites Publikum anlocken und für Oper begeistern möchte. Mit einer Traumlocation direkt am Wasser, unweit vom Dockland. Und mit einem neuen Zugang zu bekannten Opern: verschlankt, gekürzt und allgemeinverständlich.

Die aktuelle Produktion präsentiert eine auf rund 90 Minuten Spielzeit und drei Figuren eingedampfte Bearbeitung von Gounods Oper „Faust“, ihrerseits frei nach Goethes gleichnamiger Tragödie komponiert.

Gounods Faust fehlt es an Schlagkraft

Regisseurin Helke Rüder holt diesen Faust in die Gegenwart. Er ist ein Wissenschaftler aus unserer Zeit. Gemeinsam mit Margarethe – in Gounods Oper die eigentliche Hauptfigur – und Mephisto forscht er an einem bahnbrechenden Medikament. Die drei tragen Schutzbrillen und weiße Kittel, sie tropfen mit der Pipette bunte Flüssigkeiten in Reagenzgläser und notieren ihre Ergebnisse in Listen auf einem Klemmbrett.

Für Faust steht auch persönlich viel auf dem Spiel. Er sitzt nämlich im Rollstuhl. Wenn alles gut läuft, heilt ihn das Medikament und bringt ihn wieder auf die Beine. Eine Metapher für die Sehnsucht nach Jugend und Schönheit, die Faust in Gounods Oper antreibt.

Übertitel legen den Figuren frei erfundene Texte in den Mund

So weit, so stimmig. Doch aus dieser Ausgangslage konstruiert die Regisseurin eine Geschichte, die dem Stück ziemlich gnadenlos ihren Willen aufzwängt. Mephisto wird zum profitgeilen Mistkerl, der Faust erfolgreich anstachelt, das Medikament an sich selbst auszuprobieren. Margarethe ist seine Gegenspielerin, Ehrenretterin von Wissenschaft und Forschung. Und Faust klappt am Ende zusammen, weil das Medikament natürlich doch noch nicht so weit war. Seht ihr, Leute: Man hätte die Langzeitstudien abwarten müssen! Das ist ein bisschen viel Moral von der Geschicht’.

Und weit weg von Gounod. So entsteht eine schmerzliche Diskrepanz: Während die Arien im französischen Original zu hören sind, zeigen die Übertitel nicht etwa eine Übersetzung, sondern legen den Figuren frei erfundene Texte in den Mund, um die Handlung zurecht zu biegen. „Wir müssen jetzt schnell in die Produktion gehen“, stelzt Mephisto. „Ich habe mein Ego über Regeln und Ethik gestellt“, jammert Faust. Und Margarethe sagt am Ende brav ihre Selbsterkenntnis auf: „Ich war leicht zu beeinflussen, jetzt habe ich mich befreit!“ Sätze und Aussagen irgendwo zwischen Pappkameradensprache, Jugend­tagebuch und Kalenderspruch. Ja, es ist wichtig, Oper leichter zugänglich zu machen. Aber muss es so banal sein? Viele der neuen Texte wirken hölzern, ähnlich wie die Figuren selbst: Wenn Mephisto gefühlt minutenlang auf ein Reagenzglas starrt, wenn Faust bekümmert in der Ecke steht, bleibt das schablonenhaft. Vielleicht wäre es mit mehr Nähe zu Gounod auch leichter gewesen, mehr Leidenschaft auf die Bühne zu bringen. Das Drama um Margarethes Wahnsinn, ihren Kindsmord und den eigenen Tod kommt in der Aufführung gar nicht vor. Damit ist die Oper zentraler Motive und Emotionen beraubt.

Faust im Opernloft: Herrliche Musik sorgt für anrührende Momente

Trotzdem gibt es packende und anrührende Momente, nicht zuletzt dank der herrlichen Musik. Sehr schön etwa ein Duett zu Beginn, das die Regisseurin als zärtliche Liebesszene arrangiert. Sie wolle ihn auch dann, wenn er im Rollstuhl sitzt, versichert die Opernloft-Margarethe ihrem Faust. Hätte er ihr mal vertraut! Der Tenor Ljuban Zivanovic hat noch einmal an Strahlkraft zugelegt, das ist beeindruckend. Allerdings würde Faust noch mehr weiche Nuancen vertragen. Bariton Timotheus Maas geht leicht angeschlagen auf die Bühne, wie die Intendantin vorab verrät, er gibt dem Mephisto aber herrlich dunkle und fiese Farben. Cool, dass er die schon mehrfach verschobene Premiere damit rettet. Herausragende Darstellerin des Abends ist jedoch Freja Sandkamm als Margarethe, die mit ihrem ausdrucksvollen Soprantimbre Wärme und Sinnlichkeit in den Raum flutet.

Die musikalische Leiterin Amy Brinkman-Davis hat die Partitur für Klavier, beziehungsweise Keyboard plus Oboe (Jerónimo Ortigoza Guayazán) und Cello (Belén Sanchés Peréz) arrangiert und hält die Fäden trotz ziemlich großer Entfernung zu den Sängerinnen und Sängern meist sicher in der Hand. Alle Beteiligten haben spürbar viel investiert. Und dennoch gab es schon stärkere Produktionen im Opernloft. Auch der Applaus des Premierenpublikums klingt nicht ganz so restlos begeistert wie sonst.

„Faust“ Sa 25.6., Fr 8.7., jew. 19.30, Opernloft (Bus 2), Van-der-Smissen-Straße 4, Karten ab 34,80; www.opernloft.de