Hamburg. Die Soziologin Nadia Shehadeh mag ihr Sofa. Auf Ambitionen und Neoliberalismus hat sie keinen Bock. Und spricht von „Selbstbetrug“.
Nadia Shehadeh schreibt: „Ich will mich nicht optimieren, denn ich bin optimal genug.“ Das ist eine Ansage. Und nicht die einzige, die die Soziologin und Bloggerin aus Bielefeld in ihrem Buch „Anti-Girlboss. Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen“ macht. Sie sagt zum Beispiel, dass sie glaubt, dass es nur so von Menschen gewimmelt, die genauso empfinden wie sie, die Sofafrau, die so gerne am Smartphone rumdaddelt, gleichzeitig eine Serie schaut, die gerne zu Hause ihre Zeit verbringt. Die aber auch gerne rausgeht, Freunde, Kultur. Shedaheh: „Ich bin eine Slackerin, ein Faulpelz, wenn FDP-Fritze Christian Lindner eine wie mich treffen würde, liefe es ihm kalt den Rücken runter.“
Sie hat es geschafft, das ist Shehadehs selbstbewusstes Geständnis, sich in der Komfortzone einzurichten. Die 1980 geborene Frau hat keinen Bock auf jeglichen neoliberalen Leistungsethos, auf beruflichen Druck, auf Überstunden schon gar nicht. Sie verspürt einen Unwillen, beim Kapitalismus mitzumachen, der übrigens, natürlich, man stimmt ihr zu, eine Erfindung des Patriarchats ist.
Nadia Shehadeh: „Mein Motto: keine Kinder und keine Karriere“
Für Frauen, Stichwort Gender Pay Gap, gibt es in dieser Logik gleich noch mal mehr Grund, aus dem Hamsterrad auszusteigen. Shedaheh verweist in ihrem Buch auf den „kollektiven Selbstbetrug“, den Frauen begehen, wenn sie glauben, die herrschende Chancenungleichheit durch starken individuellen Einsatz ausgleichen zu können. Da ist ein verständlicher Furor am Werk. Wobei Shehadehs Haltung also zu einem gewissen Grad, klar, eine Pose ist: Schaffenskraft und Sendungsbewusstsein, wie sie sich in einer Buchveröffentlichung wie dieser manifestieren, haben nur bedingt etwas mit Faulenzerei zu tun.
Die Signale, die „Anti-Girlboss“ (den Begriff „Girlboss“ prägte die amerikanische Selfmadefrau Sophia Amoruso) aussendet, sind in einer Zeit, in der auch Umfragen eine um sich greifende Abnahme der Arbeitsmotivation belegen und „Achtsamkeit“ und „Work-Life-Balance“ längst zu Modewörtern geworden sind, nicht unbedingt überraschend. Aber die Beherztheit, mit der Shehadeh („Der Neoliberalismus untergräbt systematisch unser Selbstwertgefühl“) das Thema angeht, das Bekenntnis zur Sofatendenz, ist dann eben doch erfrischend. In der aktuellen Version der Leistungsgesellschaft sind Ansprüche und die Suche nach Perfektion in der Tat noch gestiegen.
Shehadeh („Mein Motto: keine Kinder und keine Karriere“) weiß aber um die Privilegien, die sie als Akademikerin hat. Sie konnte sich einen Job suchen, in dem sie nicht nur ihre Ambitionen zurückstellen darf; sie wollte aus dem „Hustle“ aussteigen, der Mühle der Produktivität, weil ihr Erfolg keine Erfüllung bringt. Die schlechter Bezahlten in der Dienstleistungsbranche müssen sich quälen, andernfalls fliegen sie raus.
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Nadia Shehadeh: Ein Appell, unbedingt mehr zu jammern und einfach mal nicht zu tun
So nachdenkenswert der Anti-Leistungsgedanke ist, so forsch und offen durchargumentiert: Man findet die Sofa-Idee halt doch insgesamt frivol. Es gibt viel zu tun, Engagement wäre jenseits des Sofas und des Erwerbslebens eine dritte Möglichkeit. Wer wollte da tatsächlich rumlungern und primär ein digitales Leben führen, wo doch im analogen zum Beispiel der Planet in seinem Fortbestand gefährdet ist? Nichts aussetzen kann man dann auch an ihrer These, wonach nicht „individueller Ehrgeiz, Karriere- und Aufstiegswünsche“ die Welt besser machen, sondern das, was Menschen gemeinsam in Bündnissen und mit „gemeinsamen politischen Kämpfen“ erreichen.
Ihren Leserinnen und Lesern gibt Nadia Shehadeh eine Umwandlung des Slogans „Nicht jammern! Einfach machen!“ mit auf den Weg. Besser sei „Auf jeden Fall jammern! Und auch einfach mal nichts machen!“