Hamburg . Im Thalia in der Gaußstraße zeigt Budapester Katona József Theater „Melancholy Rooms“: sympathisch, politisch, glücklich machend.

Ein Eckzimmer. Nicht wirklich runtergekommen, aber lieblos: Umzugskartons stehen rum, eine Mikrowelle, das Fenster ist verklebt. Hier kann man nicht leben. Eine Frau öffnet das Fenster, blickt ins Licht, ein Lächeln huscht ihr übers Gesicht. Dann spricht sie: „Scheiße“, auf Deutsch. Kurz ein bisschen Glück gespürt, schon wieder vorbei.

Glück ist ein Thema, in Jakab Tarnóczis „Melancholy Rooms“ vom Budapester Katona-József-Theater, das im Rahmen der Lessingtage im Thalia in der Gaußstraße zu sehen ist. Ganz konkret: Zu Beginn wird im Radio über das Glück aus biochemischer Perspektive referiert.

Thalia in der Gaußstraße: Alle sind sie alleine, alle sind sie unglücklich

Und dann sieht man eine Reihe Menschen, die das Glück suchen und nicht finden. Den Crossdresser, der vor dem Spiegel Frauenwäsche anprobiert. Die Museumswärterin, die tagein, tagaus vor dem Bild eines Liebespaares sitzt. Der Bräutigam, der darauf wartet, dass seine Braut aus dem Koma erwacht. Alle sind sie alleine, alle sind sie unglücklich.

Dieses Unglück wird am Ende sogar direkt beschrieben: Glück erreiche man, heißt es da, in der Anwesenheit eines anderen Körpers. Aber in „Melancholy Rooms“ gibt es keine anderen Körper, die acht Figuren stecken fest in ihren Wohn- und Arbeitswaben, und nur in kurzen Momenten taucht die Ahnung eines Kontakts auf. Wenn der Crossdresser ins Museum geht und die Wärterin, die sich längst selbst in ein Exponat verwandelt hat, nicht einmal wahrnimmt.

Eine recht realistische Erzählung aus dem Alltag im Lockdown

Oder wenn der Krankenpfleger die Menschen zum Tanz auffordert (und dabei in den Schlaf tanzt). Ein Traum, aber kein angenehmer. Tar­nóczi findet für diesen Traum schöne, klug konstruierte Bilder, die von der Poesie, vom Schrecken und auch vom Humor ritualisierter Aktionen leben.

Ein wenig erinnert das an die Alltagsverästelungen Christoph Marthalers, auch wenn „Melancholy Rooms“ dessen Mut zum Absurden fehlt – im Grunde erzählt der Abend ganz realistisch aus einem Alltag im Lockdown, von Menschen, die ohnehin kaum Kontakte haben, und die jetzt vollkommen vereinsamen.

Der Theaterabend wird plötzlich politisch

Allerdings erzählt er auch von nicht gelebtem Begehren. In den letzten Szenen sieht man Blessuren am Körper des Mannes in Frauenkleidern, anscheinend ist er an wenig tolerante Gestalten geraten.

Und da wird der Abend plötzlich politisch: Tarnóczi studierte Musiktheaterregie an der Budapester Hochschule für Theater- und Filmkunst (SZFE), die 2020 von der rechtskonservativen Orbán-Regierung auf Linie gebracht wurde, ein Eingriff in die Kunstfreiheit, gegen den bis heute protestiert wird. Und wenn der SZFE-Absolvent jetzt eine Gesellschaft zeigt, die atomisiert ist, traurig und verwundet, dann ist das auch ein Statement über die Politik, die so eine Gesellschaft hervorbringt.

Die einsamen, glücklosen Menschen, sie sind sympathisch

Dass „Melancholy Rooms“ dabei aber auch unterhält, das ist der große Pluspunkt dieses kleinen Abends. Man fühlt mit diesen einsamen, glücklosen Menschen, man mag sie. Aber dann schaut man dem Krankenpfleger zu, wie er erst lustlos masturbiert und dann plötzlich entdeckt, dass seine Haustier-Spinne aus dem Terrarium entkommen ist. Und wie sich sein Entsetzen beim Publikum in befreiendes Lachen verwandelt, das hilft zwar den Figuren des Stücks nicht. Aber die Zuschauer sind für einen kleinen Moment, ja: glücklich..