Hamburg. Kent Nagano nimmt sich Berg und Schumann vor. Der erste Teil wird fast flockig, Schumann bringt nach der Pause den Ausgleich.
Es beginnt singend im Klavier, eine einsame Melodie, ein Sprung und ein Schritt nach oben, dann eine abfallende Linie, wie eine Klage. Pianist Dénes Várjon gestaltet das eindringlich. Doch die Sologeige widerspricht. Veronika Eberle stellt ihre vier Töne (zwei Sprünge) irgendwie trotzig in den Großen Saal der Elbphilharmonie, dann übernehmen erst mal die 13 Bläser des Philharmonischen Staatsorchesters die Führung. Später treten sie in einen Dialog mit dem Klavier, im zweiten Satz mit der Violine. Im dritten, einem „Rondo ritmico“, kommen alle zusammen. Der Austausch funktioniert so natürlich, dass man im Verlauf einfach vergisst, wie komplex dieses „Kammerkonzert für Klavier und Geige mit 13 Bläsern“ von Alban Berg ist. Er schrieb es 1924 zum 50. Geburtstag seines Lehrers Arnold Schönberg.
Kent Nagano dirigiert dieses 5. Philharmonische Konzert mit klarer Zeichensprache. Die verschachtelte Rhythmik von Bergs Kammerkonzert wird klar, manchmal beginnt die Musik fast anmutig zu tänzeln, das wirkt leicht und flockig. Dann modelliert Nagano die lyrischen Linien mit fließenden Bewegungen. In den immer wieder heranrollenden erregten dynamischen Wellen achtet Nagano auf Balance. Beides kommt gut zur Geltung, die romantischen Reminiszenzen und der damals moderne Stil der Zwölftonmusik.
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Auch Robert Schumann ist komplexer, als man vermutet
Dénes Várjon kann seinen hochvirtuosen Klavier-Solopart unglaublich souverän und frei entfalten, mit farbigen Facetten, technisch brillant. Veronika Eberle legt viel Wärme in ihren Geigenton, dabei haben ihre leisesten Töne genauso eine brennende Intensität wie die lautesten. Die wilden Kaskaden und verzwickte Spielfiguren serviert sie ganz selbstverständlich. Alle Beteiligten, die beiden Solisten, der Dirigent und die exzellenten 13 Holz- und Blechbläser des Philharmonischen Staatsorchesters strafen eigentlich das von Theodor W. Adorno überlieferte Bonmot, Bergs Kammerkonzert sei „ein harter Brocken“, Lügen. Musikantischer, virtuoser, intensiver geht es kaum.
Robert Schumanns zweite Sinfonie in C-Dur nach der Pause war ein gutes, ausgleichendes Pendant zu Alban Berg. Doch auch dieses Stück ist komplexer, als man vermutet. Der ruhige choralartige Beginn mit den warmen Blechbläserfarben erweist bald als trügerisch. Nagano kehrte die ständige untergründige Unruhe bei Schumann nicht unter den Teppich. Das Scherzo hatte vorwärtsdrängenden Drive, die Melancholie im dritten (Adagio-) Satz war schmerzhaft spürbar, auch im Finale noch, bis Nagano sie dann in Schumanns Sinn mit dem feierlich hymnischen Schluss in den Schatten verbannte.
Philharmonisches Staatsorchester: Berg/Schumann 30.1. erneut, 20 Uhr, Elbphilharmonie (ausverkauft)