Hamburg. Ein NDR-Familienkonzert im Großen Saal gratulierte der „Sesamstraße“ zum 50. Geburtstag. Später wurde es leicht surreal.
Das richtige Outfit zum Konzert ist ja mindestens das halbe Vergnügen. Jeder Metal-Endverbraucher würde sich in Wacken ohne seine jahrelang gereifte Kutte mindestens so verkehrt angezogen fühlen wie der klassische Wagnerianer in Bayreuth ohne Smoking.
Also trug die Zielgruppe von fünf Puppen, einem Geräuschepaket und einer riesigen keksverzierten Torte ihre jeweiligen Lieblinge entweder auf knallbunten T-Shirts am Herzen, oder als knuddelpuppige Lebensabschnittspartner in klein griffbereit im Arm. Viele, sicherheitshalber, aber gleich sowohl als auch.
„Sesamstraße“: Ernie und Bert live in der Elbphilharmonie
Das Foyer rund um den Großen Saal der Elbphilharmonie war entsprechend laut und vorfreudenaufgeheizt, schon bevor der eine oder andere „Sesamstraße“-Star leibhaftig und riesengroß an den begeistert staunenden Fans vorbeispazierte. Aufgeregte Feierlaune lag in der Luft.
Nicht nur bei den vielen Kindern, sondern ebenso bei einigen Aufsichtsberechtigten, die im Rausch ihrer Retro-Seligkeit, sich gleich für eine gute Stunde wieder jung fühlen zu können, ebenfalls stolz ihre T-Shirts trugen. Komplettiert wurde der Dresscode vieler Elternteile mit bunten Partyhüten, entspannt und würdevoll getragen.
Man ist eben nie zu alt für eine Portion „Sesamstraße“, wenn man von diesen Vorschul-Philosophen fürs weitere Leben unter anderem gelernt hat, dass man seine Kekse erst bekommt, sobald man laut genug danach brüllt.
Ohrenbetäubender, herzerwärmender Krach
Der Große Saal hat viel Spezielles mitgemacht, vom G20-Gipfelkonzert mit Beethovens Neunter als Straßenschlacht-Ouvertüre über Andrea Bocellis Stimme bis zum Entertainment des ergrauten Robbie Williams. Doch der Applaus und das ungebremst glückliche Kreischen und Johlen in der Altersklasse um und bei sechs Jahren ist noch mal eine ganz andere, wirklich ganz reizende Liga.
Ohrenbetäubender, herzerwärmender Krach war das, der auch vielen Mitwirkenden im Feierstunden-Orchester auf der Bühne ein breites Grinsen ins Gesicht brachte. Ein halbes Jahrhundert „Sesamstraße“ und kein Ende in Sicht; wenn das kein Grund zum Durchdrehen ist, was dann.
Etliche Generationen haben in diesem TV-Klassiker von liebenswürdigen Sonderlingen Antworten aus Stoff und Fell auf alle wichtigen W-Fragen bekommen und kleine Weisheiten fürs Größerwerden erst recht. Die ersten Gratulations-Sausen fanden vor einigen Wochen zum Jubiläumsdatum statt, hier sollte nun noch eine Runde nachgefeiert werden.
NDR Elbphilharmonie Orchester spielt launige Wundschkonzert-Klassiker
Das NDR Elbphilharmonie Orchester hatte sich dafür einige launige Wunschkonzert-Klassiker von Leroy Anderson rausgelegt, die allerdings um Jahrzehnte älter waren als die eindeutig frischer gebliebene Puppen-Show. Mit „The Typewriter“ von anno 1953 hatte sich schon der damals noch junge Jerry Lewis seinen Applaus abgeholt.
„So sahen Computer aus, als es noch Dinosaurier gab“, war dann auch die nicht ganz freiwillig putzige Erklärung des Dirigenten Dave Claessen für diese Requisite, als das inzwischen arg antike Schreibgerät aus dem Geräuschepaket zum Vorschein kam und einige der smartphonesozialisierten Kinder wahrscheinlich leicht verwirrt ihre Eltern fragten, wo denn bei diesem Ding der Bildschirm zum Drüberwischen ist.
Das knifflige Problem, Handpuppen zu zeigen, ohne ihr menschliches Betriebssystem zu entblößen, das hatten die „Sesamstraße“-Spieler gelöst, so gut es in diesem Raum eben ging: Rechts und links von der Bühne sowie weiter oben im Mittelgebirge waren kleine Black-Box-Stationen installiert. Ernie, Bert und das Krümelmonster krähten und alberten von dort herum.
Ernie ist dabei, aber leider ohne Quietscheente
Bert hatte mehrfach „mal wieder den peinlichsten Moment seines Lebens“. Ernie hatte seine Qietscheente mitsam ihrem signature song leider nicht mit dabei; Oscar und seine Mülltonne, Graf Zahl oder womöglich der Super-Hit „Manamana“ – alles Fehlanzeige, leider. Dafür wollte Supergrobi nicht nur kurz die Welt, aber wenigstens unbedingt eine Katze retten.
Wollte der eine dorthin, wo gerade der andere war, wurden die jeweiligen Puppen flott von ihrem Bodenpersonal in schwarzen Beuteln von hier nach da transportiert. Samson, so breit und hoch wie zwei NDR-Kontrabass-Kisten und mit Klaus Esch als Innenleben, natürlich nicht, der passte so gerade eben durch die Bühnentür.
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Bevor die Musik begann, huschten immer wieder Kinder in die Nähe der Puppen, um Erinnerungsfotos zu knipsen, sobald die Musik begann, tanzten oder dirigierten einige mit, als wären sie randvoll mit Zucker betankt. Oder aßen. Oder ließen sich, so viel Zeit muss sein, zwischendurch vom zuständigen Begleit-Erwachsenen zu den Sanitärräumen bringen. Oder schliefen kurz eine Runde.
„Sesamstraße“-Erinnerungsfotos für den Rest des Lebens
Im weiteren Verlauf wurde es leicht surreal, weil die tollen Puppeteers Carsten Haffke, Martin Paas, Charlie Kaiser und Martin Reinl mit ihren Alter egos auf die Bühne kamen, ihre Arme gut sichtbar in deren eher rückwärtigen Körperöffnungen. Die Kinder hatten aber wohl weniger Probleme damit: auch bei der Schlussrunde durch die Saal-Ränge war völlig wurst, dass eindeutig noch erwachsene Rest-Menschen an Ernie oder Bert oder dem Krümelmonster hingen.
Einzig denkbare Zugabe, klar, das „Der, die, das“-Lied, bevor sich in den Foyer-Ebenen lange Schlangen für ein Erinnerungsfoto mit den „Sesamstraße“-Puppen bildeten und damit eine kleine Erinnerung für den Rest des Lebens.
Ausstellungen: „50 Jahre Sesamstraße – mehr als eine TV-Show“, ab 17.2. im Auswanderermuseum Ballinstadt. „Sesamstraße: 50 Jahre Wer, Wie Was!“ ab 7.5. im Museum für Kunst und Gewerbe. NDR Kultur sendet das Konzert am 19.2. um 7 Uhr.