Hamburg. Der senegalesische Literaturstar Mohamed Mbougar Sarr kommt mit einem besonderen Roman ins Literaturhaus.

Der Volksmund nennt es „Schubladendenken“. Etiketten anzuheften erleichtert die Wahrnehmung. Literaturkritikerinnen und -kritiker machen das, und deshalb kommen sie auf dubiose Weise zu Tode! Zumindest in diesem bemerkenswerten Roman mit dem Titel „Die geheimste Erinnerung der Menschen“. Dort gibt es einen von Mythen und Mysterien umrankten Autor namens T. C. Elimane, der nach einem einzigen Buch von der Bildfläche verschwand.

Auch sein Buch ist schon früh nicht mehr erhältlich. Elimane könnte anschließend, durch eine Art Voodoo-Zauber, einen Kritiker nach dem anderen in den Tod getrieben haben. Weil sie ihn nicht verstanden, nicht Sätze beurteilt, sondern Herkunft und Identität zur Grundlage ihrer Äußerungen gemacht hatten.

Literatur-Tipp: Roman über einen Roman

Selbst wenn sie das wohlwollend taten, hat ihn das massiv gestört, ihn, den einer den „schwarzen Rimbaud“ nannte. Das ist in den 1930er-Jahren, in den Elimanes Kultbuch „Das Labyrinth des Unmenschlichen“ erschien, eine Ungeheuerlichkeit: dass ein Afrikaner ein so überwältigendes Buch geschrieben hat.

Elimane, der in seinem Roman kunstvoll und absichtlich Sätze von anderen übernahm, ohne die Zitate kenntlich zu machen, wurde also des Plagiats bezichtigt. Danach tauchte er maximal beleidigt unter. Viele Jahrzehnte nach seinem Verschwinden macht sich der Pariser Doktorand Diégane Latyr Faye auf die Suche nach dem Enigma Elimane. Diégane ist Senegalese wie Elimane und will ebenfalls Romanautor werden. Sein Interesse an Elimane ist beinah fanatisch zu nennen. Von dieser glühenden Leidenschaft handelt Mohamed Mbougar Sarrs glühend leidenschaftlicher Roman „Die geheimste Erinnerung des Menschen“.

Klingt ganz schön nach Metaebene? Warum soll man einen Roman lesen, der von einem Roman handelt? Ganz einfach: Weil Sarr mit diesem mit dem Prix Goncourt (dem wichtigsten französischen Literaturpreis) ausgezeichneten Werk, das anarchisch in der Anlage ist, aber nie zu komplex, ein kleiner Geniestreich gelungen ist.

Literaturstar Mohamed Mbougar Sarr: Roman ist ein kleiner Geniestreich

„Die geheimste Erinnerung des Menschen“ erzählt vom nie unschuldigen Verhältnis zwischen Frankreich und Senegal, zwischen den Kolonialisten und Kolonisierten. Erzählt vom Clash zwischen Afrika und Europa, von der Liebe, dem Rausch, dem Sinn des Lebens im exzessiven Verlangen nach Kunst und Kultur. Auch von der Gegenwart Afrikas und von der Vergangenheit Europas, in dem die Nazis bis nach Paris kamen.

Aber, das vor allem anderen, von der Magie der Literatur, der Poesie – dem Roman ist ein Zitat aus Roberto Bolaños „Die wilden Detektive“ vorangestellt. Und zwar das, das Sarrs Roman seinen Titel gab. Jedes literarische Werk sterbe eines Tages, nach seinen Kritikern und Lesern; „so wie alle Dinge sterben, so wie die Sonne vergeht, die Erde, das Sonnensystem und die Galaxien und noch die geheimste Erinnerung des Menschen“. Das ist in seiner Hochgestimmtheit etwa der Ton, den der 1990 in Dakar geborene Autor Sarr auch anstimmt.

Aber wenn Sarr seinen Diégene und dessen Helferinnen und Helfer – er ist längst nicht der Einzige, der Elimane unbedingt finden will – in Szene setzt, sind Komik und Ironie nie weit. Es ist unbedingt Bolaño-Style, in die Dialoge seiner nach Literatur verrückten Protagonisten Sätze zu versenken, die selbst jedem Roman vorangestellt werden können: „Ein bedeutendes Buch erzählt immer nur von nichts, und doch steckt alles in ihm. Fall nie mehr darauf herein, den Inhalt eines Buches wiedergeben zu wollen, von dem du spürst, dass es ein großes ist.“

Der Strom der Worte als Oral History und Literatur

Dieser Roman ist ein Lese-Abenteuer, voller Suspense, weil man der Aufdeckung des Elimane-Schicksals begierig folgt. Indem man den vielstimmigen Erzählungen dieses Romans folgt, die vor allem reine Oral History sind, taucht man ein in den Strom der Worte, die im besten Fall tatsächlich Literatur sind.

Die Autorin Siga D. ist eine der weiblichen Stimmen, ihr Bericht ist die erste narrative Welle, in der sich der Erzähler stürzt, ist der Ausgangspunkt der Suche nach seinem Idol. Die explizite, die derbe Siga D. ist selbst eine Suchende und eine, die viel näher an dem Autor Elimane dran war als Diégene es je hätte sein können: Sie ist Elimanes Cousine, vielleicht sogar seine Schwester. Was sie herausfand, ist, dass Elimane ein Wandler zwischen den Welten war, ein Mann, der sein Land verließ und nicht zurückkam, so wie einst sein Vater vor ihm. Elimane konnte nach seinem Hit nie wieder ein Buch schreiben. Warum das so war, steht in „Die geheimste Erinnerung des Menschen“ geschrieben.

Wer solche Sätze schreibt, ist im Literaturhaus willkommen

Es muss, auch in der Fiktion, sehr schade um diese Unpässlichkeit gewesen sein, denn das eine Buch, das T. C. Elimane einst zu Papier brachte, war eine Offenbarung: „Sein Buch hatte etwas von einer Kathedrale und einer Arena; wir traten ein wie in das Grabmal eines Gottes, und am Ende knieten wir in unserem Blut, das als Trankopfer für das Meisterwerk vergossen wurde.“

Wer solche Sätze schreibt, ist im Literaturhaus willkommen: Der Prix-Goncourt-Gewinner Mohamed Mbougar Sarr stellt seinen Roman am 7. Februar am Schwanenwik vor (Beginn 19.30 Uhr).

Buchcover Mohamed Mbougar Sarr, Die geheimste Erinnerung der Menschen<br/>übersetzt aus dem Französischen von Holger Fock, Sabine Müller
Buchcover Mohamed Mbougar Sarr, Die geheimste Erinnerung der Menschen
übersetzt aus dem Französischen von Holger Fock, Sabine Müller
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