Hamburg. 2023 wird Hamburgs Traditionsbuchhandlung 100 Jahre alt. Ein Gespräch über Kunsthandel, den Generationswechsel und Instagram.

Der Staffelstab in Hamburgs bald 100-jähriger Traditionsbuchhandlung wird weitergereicht: Seit 2019 ist Robert Eberhardt (35) bei Felix Jud und mittlerweile alleiniger Inhaber. Seine Vorgängerin Marina Krauth wird künftig die Freiheiten des Alters genießen, aber weiter im Geschäft anzutreffen sein. Ein Gespräch über das Früher und das Heute.

Hamburger Abendblatt: Sie haben Jahrzehnte in dieser Buchhandlung gearbeitet, Frau Krauth. Erinnern Sie sich noch, wie alles begann?

Marina Krauth: Sehr genau. Nach der Schule überlegte ich, was ich machen will. Bücher faszinierten mich. Also: Buchhändlerin! Mitte der 70er-Jahre war es nicht einfach, eine Lehrstelle zu finden. Ich weiß noch, wie ich bei Felix Jud und Wilfried Weber in der Buchhandlung vorsprach. Damals arbeitete die mit der Kunsthalle zusammen, zum Ausstellungszyklus Kunst um 1800 wurden in der Rotunde Bücher verkauft. Ich wurde probeweise eingesetzt und machte meine Sache wohl gut.

Das heißt, Sie durften am Neuen Wall anschließend anfangen.

Krauth: So ist es. Das war 1977, das Geschäft – mit seiner charakteristischen Enge, dem Schmalen – und seine Umgebung waren ja im Grunde so wie jetzt. Und doch ganz anders. Der Keller war feucht, der Eingang direkt am Neuen Wall, und die Mellin-Passage nicht wirklich schön. Die Deckenfresken waren noch nicht freigelegt. Es wirkte alles ein wenig verbaut.

Was war damals noch anders als heute?

Krauth: Um noch mal auf die Innenstadt zu blicken: Zum Beispiel der Kiosk direkt gegenüber, den es damals noch gab. Da schickte mich Felix Jud immer hin, mit der Ansage „Traber, Zigaretten!“ Damals war ich unverheiratet und trug noch meinen Mädchennamen.

Wie viel rauchte der Chef denn so?

Krauth: Zwei Schachteln am Tag, drei? Jedenfalls viel. Auch in der Buchhandlung, das war ganz normal. Weil er im Gespräch mit Kunden seine Zigarette oft irgendwo ablegte, waren die Regale voller Brandflecken. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen (lacht).

Brauchten Sie lange, um die Felix-Jud-Identität zu inhalieren, zu verkörpern?

Krauth: Ich wollte unbedingt dort arbeiten. Und entschied mich erst einmal gegen ein Studium, weil ich mich auch für Kunst interessierte. Ich weiß noch, wie ich damals zitternd vor dem damaligen Chef des Museums für Kunst und Gewerbe stand, Axel von Saldern. Ein Bekannter hatte den Kontakt hergestellt. Ich fragte den MKG-Direktor, ob ich Kunstgeschichte studieren soll. Er sagte: Bloß nicht, auf gar keinen Fall! (lacht). Später, nach meinen ersten Jahren bei Felix Jud, habe ich das dann aber doch getan.

Und kamen dann aus München nach Hamburg zurück.

Krauth: Aus privaten Gründen. Zu Felix Jud hatte ich Kontakt gehalten. Als ich dann als Buchhändlerin wieder anfing, pflegte Wilfried Weber von einer „reumütigen Rückkehr“ zu sprechen (lacht). Später tauchte er bei uns zu Hause auf, schenkte mir das von Karl Lagerfeld si­gnierte Buch „Des Kaisers neue Kleider“ und fragte mich, ob ich Co-Inhaberin werden will. Das wollte ich.

Würden Sie heute jungen Menschen empfehlen, Buchhändlerin oder Buchhändler zu werden?

Krauth: Wenn sie viel Enthusiasmus haben, und wenn sie reich an Erfahrungen und nicht reich auf dem Konto werden wollen: Auf jeden Fall.

Können Sie sagen, wie lange Ihre ältesten Stammkunden zu Ihnen kommen?

Krauth: Es gibt einige, die seit vielen Jahren zu uns kommen. Aber von denen, die Felix Jud, der 1985 starb, noch persönlich kannten, gibt es nicht mehr so viele.

Was schätzen die Kunden an Felix Jud?

Robert Eberhardt: Die vielleicht einmalige Kombination aus Buchhandlung, Kunsthandel, Antiquariat. Sie mögen das Hanseatische, was immer das genau ist. Und sie nehmen auch das „Edle“ der Buchhandlung wahr, die Architektur, die tolle Fassade. Bei Felix Jud kann man schon von einem Einkaufserlebnis sprechen. Das neue Buch von Ulla Hahn kann man überall kaufen, auch im Internet. Bei uns bekommt man es signiert mit Tüte und Lesezeichen überreicht. Und man trifft bei uns Leute und Bekannte, die Buchhandlung ist ein Ort für alle.

Was muss ein Buchhändler an Fähigkeiten mitbringen, um bei Ihnen zu arbeiten?

Krauth: Die Fähigkeit, mit ganz unterschiedlichen Menschen umgehen zu können. Bei uns kommt der Geschäftsmann in Eile hinein und die Familie mit Kindern. Jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter muss sich für Literatur und Kunst begeistern.

Eberhardt: Ich gehe jetzt mal von mir selbst aus: Als ich hier anfing vor drei Jahren, habe ich mir erst einmal, um dem hanseatischen Kaufmann gegenübertreten zu können, einen Zweireiher mit Messingknöpfen zugelegt (lacht). Als Kundin kommt hier aber auch die junge Klimaaktivistin rein. Mit der spreche ich anders als mit dem 80-jährigen Reeder. Manchmal denke ich, ich arbeite beim Theater oder als Psychotherapeut oder als Ersatzenkel. Aber das mache ich gerne.

Wie haben Sie beide sich kennengelernt?

Krauth: Ich war bei unserem gemeinsamen Freund André Schmitz, dem ehemaligen Berliner Kulturstaatssekretär, bei ihm zu Hause in Brandenburg zu einem großen Abendessen eingeladen. Zu meiner Rechten saß Alexander Fest (der ehemalige Rowohlt-Verleger, Anm. d. Red.), zu meiner Linken ein junger Mann, den ich noch nicht kannte. Wir kamen ins Gespräch, und ich hörte mit wachsendem Interesse, was er schon alles auf die Beine gestellt hat. Ich muss sagen, die Tischordnung des Gastgebers war sehr gut.

Kannte dieser junge Mann Robert Eberhardt den Namen Felix Jud?

Krauth: Ich glaube schon …

Eberhardt: … doch, doch, auf jeden Fall. Ich war einst, lange ist es her, bei einem Jugendpressetag in Hamburg. Abends ging ich durch die Innenstadt, und dann stand ich mit einem Male vor dem Schaufenster der Buchhandlung. Viel später hatte ich mit meiner Berliner Galerie eine Pop-up-Ausstellung in der Großen Johannisstraße. Thomas Ganske von Hoffmann und Campe wies Wilfried Weber auf mich hin. Er wollte sich, es ging um Kunst, mit mir treffen und schrieb mir zwei Briefe. Leider kam das nicht mehr zustande, weil Wilfried Weber völlig überraschend verstarb. Kurioserweise war das zwei Tage nach dem Dinner in Brandenburg, als ich Marina Krauth kennenlernte und mein Hamburger Schicksal seinen Lauf nahm.

Frau Krauth, wussten Sie da schon: Das wird mein Nachfolger?

Krauth: Ich wusste sofort, dass er es sein könnte, ja.

Eberhardt: 2018, auf der Buchmesse in Frankfurt, stellte mir Frau Krauth die Schicksalsfrage (lacht).

Warum stiegen Sie bei Felix Jud ein?

Eberhardt: Einerseits, weil ich früh schon ein Buch-Nerd war. Ich las wahnsinnig viel, wollte schreiben, Bibliotheken besitzen und aufbauen. Mit 21, als Student in Heidelberg, gründete ich den Wolff Verlag, machte dort drei bis fünf Bücher im Jahr. Das war kaum einträglich, aber ein Buch finanzierte das nächste. Und in Berlin-Wilmersdorf machte ich eine Galerie auf. Andererseits, weil da plötzlich dieses Angebot war, in einem idealen Moment. Und ein Ortswechsel in diese schönste Stadt der Welt, ein Traumjob in dieser einmaligen Buchhandlung, das ist nicht etwas, was man nur für drei oder vier Jahre macht. Ich bin erst der vierte Inhaber in der 100-jährigen Geschichte.

Ist dieses Erbe mit Druck, gar Angst verbunden? Buchhandlungen müssen sich wandeln, auch Felix Jud.

Eberhardt: Ich habe Respekt vor der Aufgabe, aber keine Angst. Hätte ich die, wäre ich ein schlechter Unternehmer. In meiner Vita ist bis jetzt immer alles gut gegangen, obwohl ich vor Aufgaben stand, die eigentlich zu groß für mein Alter waren.

Krauth: Das Bemerkenswerte ist, dass Robert Eberhardt in der Pandemie bei Felix Jud anfing. In einer Zeit, in der es nicht gut für die Geschäfte in der City lief. Und es war auch grundsätzlich nicht leicht für alle, die gerade in dieser Zeit neu in der Stadt waren, es hatte praktisch alles zu.

Eberhardt: Dass ich in Hamburg selten in einer Bar und noch nie in einem Club war, liegt aber auch daran, dass ich derzeit so viel arbeite. Auch in meiner Heimat in Thüringen, wo ich mich seit einiger Zeit für die kulturelle Belebung der Baudenkmale Rußwurmsches Herrenhaus und Todenwarthsche Kemenate engagiere.

Haben Sie noch einen Koffer in Berlin, wo sie ja vor Ihrer Hamburger Zeit lebten?

Eberhardt: Ich war seit April nicht mehr da, obwohl sich mein soziales Leben hauptsächlich dort abspielte. Ich bin jetzt Hamburger. Meine Freunde müssen mich eben besuchen.

Sie sprachen eben an, dass Sie als Bewahrer des kulturellen Erbes in Erscheinung treten. Inwiefern ist das vergleichbar mit Ihrem verhältnismäßig neuen Job in Hamburg?

Eberhardt: Interessante Frage. Ich habe mit 25 ein altes Denkmal günstig gekauft und wiederbelebt. Die Buchhandlung Felix Jud ist sicher keine Ruine wie das Herrenhaus in Thüringen, aber bald 100 Jahre alt. Als studierter Kunsthistoriker interessiere ich mich für die Vergangenheit. Ich muss aber auch an die Zukunft denken. Menschen, die jünger als ich sind, sagt die Welt nichts, in der Felix Jud so lange eine Institution war. Da ist eine Ambivalenz, gleichzeitig nach vorn und zurück zu blicken. „Viel Gestern, viel Zukunft, wenig Heute“, denke ich manchmal.

Was ist im Jubiläumsjahr 2023 geplant?

Krauth: In dem neu gegründeten The New Institute im Warburg Ensemble gibt es jetzt eine Felix Jud Dependance. Ziel dieser Initiative ist es, konkrete Vorstellungen für künftige Gesellschaften zu entwickeln. Wir bieten die entsprechende Literatur dazu an – zu Ökonomie, Demokratie, Klimawandel, Nachhaltigkeit etc.

Durch Ihren Zugang, Herr Eberhardt, ist Felix Jud jetzt noch besser vernetzt. Wen wollen Sie künftig auftreten lassen?

Eberhardt: Was uns vorschwebt, hat sich mit Namen wie Theresia Enzensberger, Jan Philipp Reemtsma und Johann Scheerer zuletzt gezeigt. Was die 100-Jahr-Feier angeht, denken wir an ein Programm mit vielen Ausstellungen und Lesungen, einer Auktion und einer Überraschung, die wir am 20. November 2023, dem 100. Gründungstag, erstmals durchführen wollen. Aber das ist noch streng geheim.

Kommen genug Jüngere zu Felix Jud?

Eberhardt: Ich habe den Eindruck, dass meine Generation zuletzt stärker vertreten ist, seit ich ein wenig „das junge Gesicht“ Felix Juds bin und wir auf Instagram sind. Von selbst wird auch bei Felix Jud künftig nichts gehen, das ist klar. Wir werden oft noch als elitär wahrgenommen, als Elitenbuchhandlung. Das darf in manchen Kreisen auch gerne weiterhin so sein, solange andere Zielgruppen gleichzeitig ihre Schwellenangst verlieren. Wilfried Weber sprach immer von der Luxuswüste Innenstadt, in der es um Konsum geht. Bei uns geht es um mehr.

Zum Beispiel auch um Kunst. Die Galerie ist zuletzt erweitert worden.

Krauth: Damit begannen wir nach Wilfried Webers Tod. Wir mussten unsere Überlebensfähigkeit sichern. Gerade die Bedeutung des Antiquariats hat abgenommen, und mit mehr Fläche für Ausstellungen zeigen wir den Künstlerinnen und Künstlern, wie ernst wir sie nehmen.

Eberhardt: Grundsätzlich wollen wir die spannende Firmengeschichte und gerade das imposante Leben Felix Juds künftig besser präsentieren, seinen widerspenstigen, liberalen, humorvollen Geist würdigen, der ihn ins KZ Neuengamme brachte und ihn fast das Leben kostete.

Abendblatt-Magazin zu Felix Jud

Die Buchhandlung Felix Jud
Die Buchhandlung Felix Jud © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Im neuen Magazin „Felix Jud – 100 Jahre Buch und Kunst in Hamburg“ geht es auf 108 Seiten um den legendären Buchhändler Felix Jud, der 1923 an den Colonnaden sein erstes Geschäft eröffnete und später zum Neuen Wall umzog. Für 9,50 Euro (Treuepreis 8 Euro) ist es am Gr. Burstah 18–32 sowie in unserem Online-Geschäft erhältlich.