Hamburg. Rechts Lackschuh, links Beinschiene – und ein restlos begeistertes Publikum. Die Benefiz-Gala Channel Aid war ein Erfolg.

Wenn beim Rodeln nicht nur Schnee auf der Piste liegt, sondern auch eine Mauer im Weg steht, kann das unangenehme Folgen haben. Und zugleich bei einem Auftritt im großen Konzertsaal der Elphilharmonie für ungeahnte Showeffekte sorgen. Der Popsänger Wincent Weiss wurde für seinen vollen Einsatz bejubelt. Und natürlich für seine hymnischen Popsongs an Streichorchester. Doch bevor er trotz gerissener Sehnen die Bühne am Hafen betrat, stand der gute Zweck im Mittelpunkt.

Die Charity-Reihe Channel Aid hatte zu diesem in Windeseile ausverkauften Abend geladen. Die Idee: Das Konzert wurde in die Sozialen Medien übertragen und die Spenden speisten sich aus den Werbeerlöse der Plattformen. Die Menschen an den Empfangsgeräten mussten also einfach nur: einschalten.

Elbphilharmonie: Wincent Weiss überrascht mit Auftritt und Star-Wars-Krücken

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Jeder Klick generierte Geld für die gute Sache. Ein zeitgemäßer Weg, um die Generation YouTube und TikTok zu erreichen. Stars wie Popsängerin Rita Ora, Rapper Cro und die Band Bastille haben so seit 2018 Livemusik in soziales Engagement verwandelt. Und dann kam die Pandemie.

„Die Corona-Krise hat uns hart getroffen“, erzählte Initiator Fabian Narkus im Gespräch mit Moderator Christian Stübinger. „Aber wir sind noch da.“ Seine Stimme amtlich heiser. Eine Live-Veranstaltung bedeutet eben: vorher zig kleine und große Absprachen. Zugute kommt diese Liebe zum Detail dann unter anderem einer Initiative wie Right To Play, dessen Sprecher Julian Lohaus ausführlich zu Wort kam.

Channel Aid: Erster Auftritt des Abends war die Sängerin Loi

Die Organisation unterstützt Kinder und Jugendliche in 15 Ländern dabei, überhaupt spielen zu dürfen, um traumatische Erlebnisse zu verarbeiten und positive Perspektiven zu entwickeln. Seine Aufforderung: „Gebt all jenen eine Stimme, die nur selten gehört werden.“

Die Erste, die dann für Channel Aid gesanglich ihre Stimme erhob, war die in Mannheim geborene Sängerin Loi. Wer diese junge Künstlerin noch nicht auf dem Radar hat: Sie vertonte einst – millionenfach geklickt – ein Pfannkuchen-Rezept, nachdem ein Fan ihr geschrieben hatte, dass sie mit ihrer Stimme selbst eine Speisekarte veredeln könne. Und: Ja, ihr Gesang vibrierte in seelenvoller Tiefe.

Der Rapper Kayef brachte Lässigkeit in die Elbphilharmonie

Zwischen gehauchten Nuancen und eindringlicher Emotionalität. Etwa in der Ballade „I Follow“, mit der sie ihren starken Auftritt in der Elbphilharmonie eröffnete. Wunderbar reduziert begleitet von Cello und Flügel. Eine ungemein ruhige Kraft entfaltete auch ihre Version von „Blinding Lights“. Ihr Cover von The Weeknd hat bei YouTube mehr als 14 Millionen Aufrufe. Doch solche Zahlen wirkten nichtig angesichts der Magie, die diese Nummer live ausstrahlte.

Mit etwas größerem Besteck und entsprechend mehr Druck trat im Anschluss der Popsänger und Rapper Kayef ins Elbphilharmonie-Rund. Mit Band und Streichquartett intonierte er die Ode an sein Metier: „Musik“. In strahlend weißen Sneakern federte er über den Bühnenboden und sang: „Ey, wenn du nicht dabei bist / Ist Party machen peinlich“. Ein lässiger Typ, dessen Lyrik nahe am täglichen Leben liegt.

Wincent Weiss kam auf Krücken mit Leuchtröhren in die Elbphilharmonie.
Wincent Weiss kam auf Krücken mit Leuchtröhren in die Elbphilharmonie. © Christian Charisius | dpa

Ein Hingucker: Wincent Weiss' Krücken mit Lichtröhren

Zwischen Liebeswirren und Leichtigkeit. Mitunter wurde sein Gesang vom orchestralen Wumms überlagert. So tat es gut, dass das Arrangement bei „Beton“ noch einmal heruntergefahren wurde zum intensiven Spiel des Pianisten Costantino Carrara. Viel Applaus des ohnehin sehr klatschfreudigen Publikums. Und noch diverse Dezibel euphorischer wurde es dann beim Entree von Wincent Weiss mit Band und dem Streichensemble Matheus unter Leitung des Dirigenten Jean-Christophe Spinosi.

Das Orchester spielte ein Intro, in dem der Bombast seidig heranrollte. Und dann kam der Star des Abends in den Saal. Auf so etwas wie Star-Wars-Gedächtnis-Krücken mit Lichtröhren entlang der Stangen. Er strahlend im Smoking. Rechts eleganter Lackschuh, links klobige Beinschiene.

Wincent Weiss holt das Publikum von den Stühlen

Lautstark jubelnd erhoben sich die 2100 Gäste von ihren Sitzen, als Wincent Weiss sein Lied „Musik Sein“ anstimmte. Sein Mikro war an die rechte Krücke montiert. Sozusagen der Inspektor Gadget des Deutschpop. Das Konzert zelebrierte er über weite Strecken mit Hilfe einer schwarz ummantelten Rollkiste, auf der er saß, sang, kniete, posierte und vor allem höchst dynamisch über die Bühne fegte. Kopfstand inklusive.

Für ihn sei das ein Abend der vielen ersten Male. Das erste Mal in der Elbphilharmonie, im Sitzen, im Smoking, mit Orchester. Hymnische Songs wie „Die Guten Zeiten“ und „Kaum erwarten“ bewiesen eindrucksvoll: Das Mitsingen der Fans klingt in der Elbphilharmonie besonders eindrucksvoll. Sei es von den beiden blondierten Jungs mit Wincent-Weiss-Shirt. Sei es von dem kleinen Mädchen in der zweiten Reihe, die auf ihrem Sitz mit erhobener Hand inbrünstig in den großen Chor einstimmte.

Elbphilharmonie: Wincent Weiss singt für den guten Zweck

Mit Stücken wie „Was die Menschen nicht wissen“ oder „Winter“ plädierte Wincent Weiss aber auch nachdenklicher und sachter dafür, auf die psychische Gesundheit zu achten. Der Sänger, der bald seinen 30. Geburtstag feiert, warf sich hinein in jeden Song.

Ob beim Medley bekannter Deutschpop-Hits, beim Stopptanzspielen mit allen im Saal oder beim Finale mit „Frische Luft“, „An Wunder“ und „Feuerwerk“. Gegen Ende legte er sich auf seine Rollkiste und schaute singend Richtung Decke. Gen Himmel. Eine große Energie für den guten Zweck.