Hamburg. Der Singer-Songwriter lieferte ein bemerkenswertes Konzert im nur mäßig gefüllten Kleinen Saal der Elbphilharmonie.

Der Kleine Saal der Elbphilharmonie kann sehr groß sein. Zum Beispiel beim Konzert von Tom Liwa, als gerade mal die Hälfte der Plätze verkauft ist, und der Singer-Songwriter in leere Reihen blicken muss. Allein: Liwa scheint das nicht zu stören, diesen großen Verweigerer der deutschsprachigen Popmusik, bei dem es irgendwie unpassend gewesen wäre, würde er vor ausverkauftem Haus spielen.

Elbphilharmonie: Liwa entschuldigte sich für „unprofessionellen Beginn“

Liwa also betritt den mäßig gefüllten Saal, barfuß, weite Hose, Wollmütze, Thermoskanne in der Hand, er spielt ein paar Akkorde, um sich gleich wieder zu verabschieden. „Es ist mir eine besondere Freude, hier so unprofessionell zu beginnen“, entschuldigt er sich, „aber ich muss nochmal nach draußen, weil, draußen liegt mein Kapodaster“, und dann rüttelt er erst einmal erfolglos an der schweren Holztür zum Backstagebereich. Und lächelt.

Das ist bemerkenswert, weil: Wer die Karriere des 61-Jährigen schon länger verfolgt, der weiß, dass Liwa auch ein ziemlich unleidlicher Typ sein kann. In der Elbphilharmonie aber ist er gelöst, scherzt er, lächelt er. „Ladies And Gentlemen“, hebt er mit großer Geste an, „The Grateful
Dead!“ Und dann stehen da eben doch nicht die kalifornische Psychofolk-Legenden auf der Bühne, sondern ein einzelner Musiker mit Akustikgitarre.

Liwa gelingt es, alles aus seiner Gitarre rauszuholen

Wobei die Ansage musikalisch gar nicht falsch ist: Die jüngste Liwa-Platte „Eine andere Zeit“ könnte, mal abgesehen natürlich von den deutschen Texten, durchaus von den späteren Grateful Dead („Alabama Getaway“) stammen, Folk, Blues, Country, mit langen Instrumentalpassagen, teilweise opulent instrumentiert. Letzteres allerdings kommt in Hamburg nicht zur Geltung, den gesamten Sound schultert der Musiker alleine mit seiner Gitarre, und die Tatsache, dass das funktioniert, ist auch ein Hinweis darauf, was für ein Virtuose Liwa ist. Der schrammelt nicht nur, der holt alles aus seinem Instrument raus.

„Die Musik ist seltsam“, singt er, „Schräg und verstört / Doch sie wird immer schöner.“ Solch eine Selbstbeschreibung muss man sich erstmal trauen, und dass man sie Liwa nicht als kokett auslegt, heißt eben auch etwas. „Zu zart für den Underground / Und für den Mainstream zu rein“, da steckt alles drin, was dieses Konzert ist, Musik, die mit Liwas Hauptband Flowerpornoes ihre Wurzeln im Punk hat, mit dessen Grobheit aber nie etwas anfangen konnte und sich seither immer weiter verzweigt, in Americana, in Ambient, in den schrägen und verstörten Folk der Gegenwart. Liwa spielt „Virgin Birth Blues“, und dann legt er ein Plié hin, beiläufig, gekonnt. Gelenkig.

Zwischendurch flicht er Zitate in seine Songs ein, Eric Idles „Always Look On The Bright Side Of Life“, dann ein Lied von Jens Ausderwäsche, eigentlich Jenny Kretzschmar aus Chemnitz, deren LoFi-Folk (und deren geschlechtliche Uneindeutigkeit) Liwas Songwriting verwandt ist und die den Abend mit einem freundlich stolpernden 20-Minuten-Auftritt eröffnet hatte.

Elbphilharmonie: Liwa ist seit 35 Jahren aktiv

Das ist (selbst beim Monty-Python-Klassiker) keine Ironie, das sind Erweiterungen des eigenen Songkosmos, der sich von Jahr zu Jahr weiter ausdehnt. „Ich hatte ein Leben, und ich habe es geopfert für die Kunst“, murmelt Liwa ins Mikro, was pathetisch klingt. Doch es stimmt ja auch, vor 35 Jahren erschien die erste Flowerpornoes-Platte, und seither ist der Sänger praktisch ununterbrochen aktiv, in unterschiedlichen Konstellationen: ein Leben für die Kunst. Aber er freut sich, während er das sagt. Die Musik ist seltsam, doch sie wird immer schöner.