Hamburg. Pianist Keith Jarrett begeistert mit einer Reise durch seinen Klangkosmos und der Bassist Devron Douglas trifft direkt ins Herz.
Nach zwei Schlaganfällen hat Pianist Keith Jarrett sich 2020 endgültig von der Bühne zurückgezogen, live wird man ihn, der sich in den vergangenen Jahrzehnten eh rar machte, also nicht mehr erleben können. Und auch die Wahrscheinlichkeit, dass es noch mal eine neue Studioaufnahme gibt, ist verschwindend gering. Um so bedeutsamer, dass immer wieder hochklassige Livemitschnitte auftauchen, die dem umfangreichen Oeuvre des heute 77-Jährigen ein weiteres Mosaiksteinchen hinzufügen. Zuletzt „Bordeaux Concert“ (ECM), aufgenommen im Sommer 2016 in der dortigen L’Opéra National.
13 Teile hat das frei improvisierte Solostück, dass Jarrett hier spielt, immer wieder unterbrochen vom begeisterten Applaus der 1400 Menschen, die live dabei waren. Es ist eine Reise durch den Klangkosmos dieses Ausnahmekünstlers, der wie üblich stellenweise leise mitsingt und immer neue melancholische Melodielinien aus den Fingern schüttelt. Das ist manchmal elegisch, geradezu sentimental, und erinnert an das berühmte „Köln Concert“, dann wieder belebt Jarrett ein Blues-Schema, ist nahe am Boogie-Woogie, um später mit einer filigranen Miniatur nach der anderen staunende Freude zu verbreiten. Die Jazzgeschichte hat viele herausragende Pianisten und Pianistinnen hervorgebracht, doch Keith Jarrett spielt in einer ganz eigenen Liga. Hoffentlich schlummert noch mehr in den Archiven – Veröffentlichungen auf diesem Niveau kann es gar nicht genug geben.
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Devron Douglas: Album soll die Schönheit des Universums repräsentieren
Vor zwei Jahren veröffentlichte Bassist Dezron Douglas mit seiner Frau, der Harfenistin Brandee Younger, ein leises Duoalbum („Force Majeure“), das während der Corona-Lockdowns entstanden war. Mit „Atalaya“ (International Anthem) präsentiert der Mann, der auch schon mit Pharoah Sanders und Ravi Coltrane spielte, nun sein Quartett, das ganz in der Tradition der großen Alten steht. In der Tradition des Spiritual Jazz eines John Coltrane mit gelegentlichen Ausbrüchen und warmen Melodien, die ohne Umweg direkt ins Herz treffen. Wer könnte etwa „Rosé“ hören und nicht sofort „Hach, ist das herrlich ...“ denken? Die unendliche Schönheit des Universums solle dieses Album repräsentieren, schreibt Douglas im Booklet. Es gehe um Mystik, Zauber, Glaube, Liebe, Energie und die Fähigkeit, all das wahrzunehmen.
Klingt vielleicht etwas prätentiös, aber wer diese Musik hört, kommt nicht umhin, die spirituellen Wurzeln der zehn Stücke zu erkennen. Toll auch „Luna Moth“, eine Hommage an den 2021 gestorbenen Avantgarde-Bassisten Mario Pavone, bei der dann tatsächlich Dezron Douglas’ Bass im Vordergrund steht. Eines der Alben des Jahres.