Hauptdarstellerin Anna Maria Mühe kann kein Österreichisch. Macht nix. Triebtäter mit Tiermasken jagen geht ja auch so.
Das Alpenpanorama sieht gut aus, muss man schon sagen. Die Frau, um die sich in der ab 5. Januar auf Netflix abrufbaren österreichisch-deutschen Serie „Totenfrau“ alles dreht, knattert mit ihrer Ducati ständig durch die Tiroler Bergherrlichkeit. Das gibt dem Plot eine landschaftliche Weite, und trotzdem sind es doch vor allem die menschlichen Abgründe, die in dem Sechsteiler anschaulich gezeigt werden. Die Motorradfahrerin, die außerdem von Beruf Bestatterin ist, wird von allen nur Blum genannt. Dabei geht es bei ihr vor allem ums Verwelken.
Rufname Blum also. Vielleicht, weil sie mit Vornamen tatsächlich Brünhilde heißt. Ein erster Indikator übrigens, dass mit den Leuten vom Berg etwas nicht stimmen kann. Wer nennt sein Kind so, bitteschön? Um Blums dramatische Kindheit und Jugend wird es im Verlaufe dieses Thrillers bisweilen gehen, Stichwort: Grundlagensuche für späteres auffälliges Verhalten. In der Gegenwart wird die Leichen-Herrichterin zu jenem genötigt: Vor Blums Augen mäht ein Auto ihren Mann um und begeht Fahrerflucht. Der Gatte erliegt im Krankenhaus seinen Verletzungen. Danach betritt Blum, der man nach der ersten Rückblende ohnehin alles zutraut, umstandslos den Pfad der Rache. Und sorgt selbst für die Leichen, von denen sie dann aber keine mehr schön macht. Der Tod ist hässlich, wenn er hässliche Menschen heimsucht, in diesem Fall: ausnahmslos Männer.
„Totenfrau“: Moralisch nicht einwandfreie Rächerin
Es sind in den Krimi-Plots halt, es deckt sich mit der Realität, grundsätzlich Männer, die auf gewaltvollen und bisweilen mörderischen sexuellen Beutezug gehen. Blums Mann, ein Polizist, war einer kleinen Clique von einheimischen Triebtätern auf der Spur, die verschleppte Frauen schänden und zu Tode martern. Vor der Kamera, deshalb die Masken – die Teufel wissen sich zu verstecken. Zu ihrem Pech schleicht sich Blum, die da schon bemerkenswert kühl den Künstler-Sohn der über den gesamten Touristenort herrschenden geld- und machtgeilen Berg-Patin aus dem Verkehr gezogen hat, in ihre Whatsappgruppe. Außerdem versteckt sie eine junge Frau, die ihren Peinigern entkommen konnte.
Anna Maria Mühe („Novemberkind“, „Solo für Weiss“) spielt die moralisch nicht einwandfreie Rächerin – das ist es, was unser Interesse für sie weckt – mit Lust auf Krawall und waidwundem Witwenherzen. Ihr ist es, hoppla, am Anfang ihrer Vendetta möglich, ständig im großdimensionierten Leichenwagen durch den Ort zu fahren, ohne groß aufzufallen. Beim Serienschreiben (das Drehbuch stammt hier von gleich fünf Autorinnen und Autoren) muss man, was Plausibilität angeht, auch großzügig sein können.
„Totenfrau“: Zweite Kooperation von Netflix und ORF
Allerdings ist die Geschichte eh keine Netflix-Erfindung. „Totenfrau“ ist die TV-Adaption des 2014 erschienenen, gleichnamigen Romans von Bernhard Aichner. Nach dem Psychoanalytiker-Drama „Freud“ ist die Romanverfilmung außerdem die zweite Kooperation von ORF und Netflix. „Woman Of the Dead“ heißt die Serie im nicht-deutschsprachigen Netflix. Im österreichischen Fernsehen lief sie bereits im November, und da fiel den Kommentatoren schon auf, wie wenig Österreichisch im Film-Tirol gesprochen wird. Was auch daran liegt, dass ein Großteil des Ensembles aus Deutschland stammt. Neben Mühe ist da insbesondere Felix Klare („Tatort“) zu nennen, der Polizist ist und damit Kollege war von – Blums nun totem Mann. Was ihn nicht davon abhält, der frischen Witwe fix erotischen Beistand anzuerbieten.
Überraschende Pointen gibt es in dieser seriös durchinszenierten Thrillerhandlung nicht. Es ist so, wie es ist in Fällen kleiner Gemeinschaften mit krankem Kern: Der Pfarrer muss irgendwie mit drinhängen, und auch eine angesehene Berufsgruppe wie die der Mediziner und halt die Polizei ist im Zweifel verdächtig. Blum, die übrigens die Angewohnheit hat (einen Schuss Surrealismus braucht’s auch), mit den Toten zu reden, legt mit beharrlichem Wühlen und handfesten Angriffen auf die körperliche Unversehrtheit ihrer Opponenten lange schwärende Wunden und nie gesühnte Verbrechen frei.
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Trotz Alpenpanorama: Es fehlt insgesamt die Suggestivkraft
Von Yousef Sweid („Munich Games“) als syrischem Flüchtling, der in Blums Bestattungsunternehmen eingestiegen ist, hätte man gerne mehr gesehen, und ein wenig Humor und grundsätzlich bessere Dialoge hätte „Totenfrau“ auch vertragen. So bleiben nur ein paar Szenen mit der skrupellosen Blum und auch andere, gespenstische Auftritte halbwegs in Erinnerung, bei denen man sich natürlich gruseln soll: Schau mal, wie pervers die sind!
Am Ende, das zumindest vom Suspense her noch ganz gut ist, nervt dann allerdings der pseudotiefsinnige Ton. Wer hat wen warum umgebracht? „Das hast du für dich selbst gemacht“, sagt einer mal, und da fällt einem ein weiteres Mal auf, dass „Totenfrau“ einen sicher entscheidenden Mangel hat: Dem Sechsteiler fehlt jegliche Suggestivkraft. Sieht man mal von dem ab, was die Alpen atmosphärisch rausholen.