Hamburg. „Die Großherzogin von Gerolstein“ ist ein turbulentes Vergnügen mit durchgeknallten Figuren und vielen ganz aktuellen Bezügen.
Jacques Offenbach war ein Mann des Theaters, der seine Stücke immer wieder kritischen Revisionen unterwarf und teilweise mehrere Fassungen davon nach den jeweiligen Uraufführungen in den Verkehr brachte. So erging es auch seiner satirischen Operette „Die Großherzogin von Gerolstein“ von 1867. Besonders das Ende hatte ihm missfallen und wurde noch mal komplett umgekrempelt, damit das Stück bei der Pariser Weltausstellung dann zum echten Erfolg werden konnte.
Offenbachs schräge Parodie: Ein vergnüglich-turbulenter Abend
Für die Premiere im Ernst Deutsch Theater am Donnerstag nun erlaubte sich der Regisseur Anatol Preissler noch ein paar Eingriffe mehr in Offenbachs schräge Parodie voller Klamauk und Kalauer. Zunächst einmal ersetzte er den realen Ort Gerolstein durch ein nüchternes „G.“, weil diese Geschichte seiner Ansicht nach überall auf der Welt spielen könnte. Dann überarbeitete er den Text komplett und fügte etliche Anspielungen an unsere Gegenwart ein. Herausgekommen ist ein vergnüglich-turbulenter Abend, bunt und schrill, frech und witzig.
Und doch streift diese auf sieben Darsteller heruntergebrochene Fassung besonders in den ersten beiden Akten die Grenze zum Kindertheater scharf. Alle Figuren sind von Beginn an durchgeknallt. Da haben wir den Soldaten Fritz mit Charlie-Chaplin-Bärtchen, seinen Kontrahenten General Bumm, dessen Name Bände spricht, und einen androgynen Prinzen mit hochhackigen Goldschuhen und Weste, der die Großherzogin heiraten soll, weil es sein Vater so will. Fritz und Bumm schlagen sich um die hübsche, aber wie ein Wasserfall quasselnde Wanda und der General sieht seine Chance gekommen, den Kontrahenten loszuwerden, als die alternde Großherzogin ihr Herz für den Jungen entdeckt und er ihn in den Krieg schicken kann.
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Offenbachs Parodie: Hinreißend die Auftritte von Daniela Ziegler als Großherzogin
Geschickt verdichtet Regisseur Preissler all das Hin und Her der Herzensangelegenheiten und parodiert mit Genuss die im Stück allgegenwärtige Kriegsverherrlichung, wozu ihm Offenbach tolle Ensemblenummern liefert. „Mit Piff Paff Puff und Tataratatumm“ tanzen nicht nur der hochgewachsene Daniel Schütter in dieser dankbaren Rolle, sondern auch seine Soldaten mit Cheerleader-Pompons.
Dass der um die Großherzogin unfreiwillig werbende Jan Rogler als Prinz Paul statt Blumen einen Strauß Gemüse in den Armen hält und Ballettnummern vom Feinsten in der Choreographie von Kerstin Ried aufs Parkett legt, ist Teil einer Show des Absurden, der Daniela Ziegler als Großherzogin dann noch die Krone aufsetzen sollte. Ihr war dieses Stück zu ihrem 50-jährigen Bühnenjubiläum ja überhaupt gewidmet und es war hinreißend, wie sie in märchenhaften Kostümen mal wie ein Vamp, dann wieder wie ein Rockstar oder eine stolze Herrscherin auftrat, die ihr Alter partout nicht wahrhaben will. Am Ende aber, und das arbeitet Ziegler fantastisch heraus, bekennt sich die Großherzogin zu ihrer unzerstörbaren Lust am Leben und zähmt nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Rachegefühle aller anderen.
Preissler lässt es nicht an Anspielungen auf unsere Zeit fehlen. General Bumm wird mit seinen „zeitlich begrenzten Spezialoperationen“ unversehens zur Putin-Persiflage und bezahlt wird der ganze Wahnsinn mit „Sondervermögen“ aus dem ausgedünnten Staatshaushalt. Sehr aktuell – und unterhaltsam.
„Die Großherzogin von Gerolstein“ weitere Vorstellungen ab 26.11., Ernst Deutsch Theater, Friedrich-Schütter-Platz 1, Karten unter ernst-deutsch-theater.de