Hamburg. Ein Gespräch mit der Cellistin Sol Gabetta über die Liebe zur Bühne und das Tempo ihres Lebens.

Bei einem Gespräch mit der Cellistin Sol Gabetta gibt es keinen ersten, zweiten oder dritten Gang. Sie legt aus dem Stand los und ist nur schwer zu bremsen. Ihre Karriere verlief und verläuft seit ihrer frühen Jugend genau so. Was sie will und macht, macht sie voll und ganz. In diesem Sommer ist die Wahl-Schweizerin aus Argentinien für zwei Konzerte beim Schleswig-Holstein Musik Festival zu Gast, im Herbst kommt sie dann auch nach Hamburg.

Hamburger Abendblatt: Es geht wieder los, alles Mögliche fängt wieder an. Wie ist es für eine Musikerin, jetzt wieder den Motor anwerfen zu müssen, anwerfen zu können? Haben Sie Startschwierigkeiten oder ist das wie Fahrradfahren?

Sol Gabetta: Zum Glück habe ich drei Wochen hinter mir, die sehr anstrengend waren, aber musikalisch ganz phänomenal. Ich habe angefangen, richtig aktiv zu werden. Vor drei Wochen habe ich ein neues Orchester-Projekt hier in der Schweiz gestartet. Eine Art Carte blanche, eine Art neues Festival. Wir haben einen Film produziert, eine Riesensache.

Es war also kein Problem, weil das sowieso Ihr Lebensinhalt womöglich ist und sie sich gar nicht komplett fühlen, wenn nicht vor Ihnen jemand sitzt und hin und wieder klatscht?

Gabetta: Nein, mir geht es nicht um das Klatschen. Eigentlich habe ich nie aufgehört zu studieren, zu Hause zu üben. Ich habe von dieser Zeit sehr profitiert. Während der ersten Monate war ich eigentlich froh, dass es endlich mal etwas Pause gab. Diese Zeit hat mir viele Möglichkeiten zum Nachdenken gegeben. Jetzt, im Juli, August, gibt es so etwas wie eine Bombardierung mit Konzerten. Und ich bin mehr als glücklich und froh, dass diese Konzerte zu mir kommen. Aber ob es so im Oktober weitergeht, das weiß niemand.

Und wie ist es jetzt mit dem Standard-Repertoire? Haben Sie das präsent wie auf einer Festplatte oder müssen Sie auch erst wieder überlegen: Wie war das noch mal mit dem Tschaikowsky-Konzert?

Gabetta: Präsent sind auf jeden Fall die Ideen, die ich schon im Kopf habe. Eigentlich kann ich ziemlich weit vorausblicken, was ich in den nächsten zehn Jahren machen will. Die Frage ist, mit welcher Tiefe jedes Projekt passiert. Je tiefer, desto mehr Zeit braucht es. Es gibt eine Zeit für Auftritte, und es gibt eine Zeit zum Üben, zum Studieren und auf die Suche gehen. Und bei jedem Stück – egal, wo ich spiele oder wie lange ich es nicht gespielt habe – habe ich das Gefühl, es von A bis Z noch mal studieren zu müssen. Vielleicht ist das auch meine Art und Weise zu üben, zu arbeiten.

Es wird doch sicher auch Abende geben, an denen Sie nach relativ kurzer Zeit schon merken: Dieses Orchester, dieser Dirigent und ich, da passiert heute nichts mehr. Augen zu und durch? Ärgern Sie sich noch oder stört es Sie gar nicht?

Gabetta: Dass es so katastrophal ist, habe ich in den letzten Jahren sehr selten erlebt. Ich schaue mir sehr genau an, mit wem ich was machen will. Und ich sage sehr selten ein Konzert ab, aus Respekt vor dem Publikum, aus Respekt vor mir, zu den Leuten, die da sitzen. Ich habe akzeptiert, dass ich durchkommen muss.

Ist Ihnen schon passiert, dass Sie den Faden verloren und mittendrin sagten: Moment! In welchem Stück bin ich denn jetzt gerade?

Gabetta: Nein. Aber wenn es darum geht, ob ich ein Stück auf der Bühne genieße: Das ist eine schwierige Frage! Natürlich versuche ich zu genießen, doch es gibt Stücke, die einem nicht erlauben, den Kopf abzuschalten. Wenn ich genießen will, gehe ich einfach als Publikum in ein Konzert. Wenn ich spiele, genieße ich nicht, ich baue etwas auf. Ich will der Vorstellung, die ich in mir habe, einen Ausdruck geben. Ich kann Momente, manchmal nur sekundenweise, minutenweise genießen.

In einer Dokumentation über Sie wurde eine Szene gezeigt, als Sie mit 15 in Moskau in einem Cello-Orchester spielten, das vom großen Mstislaw Rostropowitsch geleitet wurde, dem Lehrer Ihres Lehrers. Sie waren Konzertmeisterin und die Jüngste. Wie war das für Sie? Im Film war das für mich nicht klar erkennbar.

Gabetta: In diesem Alter hatte ich eigentlich gar keine Angst vor der Bühne, vor Begegnungen. Ich war immer sehr bewusst, was Bühne bedeutetet, was diese Begegnungen bedeuten, und auch extrem respektvoll. Ich wurde da hingesetzt, ich musste durchkommen. Und ich habe nicht mitgemacht, damit Rostropowitsch mir irgendetwas sagt. Ich bin dort hingegangen, weil es eine unglaubliche, tolle Gelegenheit war. Unglaublich inter­essante Künstler. Wahrscheinlich habe ich durch das Hören dieser Konzerte am meisten gelernt. Was passiert auf einer Bühne? Wie kommen Künstler aus dieser Situation heraus? Für mich sind Konzerte eine unglaubliche Lehre. Ich liebe es, in Konzerte zu gehen.

In dem Film über Ihre Jugend erzählte Ihr Lehrer, Sie wären als Zehnjährige durch die Tür gekommen, und da wusste er schon: Das ist eine Künstlerin. Und es gab die Geschichte eines Wettbewerbs, bei dem Sie gesagt haben, so schnell ginge das nicht, Sie müssten sich erst mal einspielen. Etwas anderes als Musikerin zu werden, war in Ihrem Universum offenbar nie vorgesehen gewesen.

Gabetta: Das stimmt, ja, absolut. Ich war eher ein schüchternes Kind, für viele, die mich jetzt kennen und schon gesehen haben, klingt das vielleicht nicht so. Ich habe nach wie vor sehr viel Respekt vor Menschen. Ich muss nicht die Stärkste sein, im Gegenteil. Ich lasse nicht zu, dass alles überdeckt wird durch die Vorstellung, auf die Bühne zu kommen und immer auf 200 Prozent sein zu müssen. Die Menschen, die eine Karte für ein Konzert kaufen, wollen ein gutes Konzert hören, ein Erlebnis haben. Dafür arbeite ich. Man muss lernen, damit zu leben. Wir sind nur Menschen, nicht Roboter.

Die frühen Filmausschnitte wirkten immer so: Sie sind auf oder in der Nähe einer Bühne und unter der Bühne ist ein Magnet, der Sie magisch anzieht. Und Sie müssen rauf auf die Bühne. Sie müssen da hin. Sie müssen spielen für andere. Das war auch bei dem kleinen Mädchen Sol schon sehr klar erkennbar.

Gabetta: Magnet ist tatsächlich ein gutes Wort. Ich glaube wirklich, dass mich etwas zur Bühne zieht. Ich brauche die Bühne nicht, aber ich mag die Bühne. Ich liebe die Bühne. Die Bühne ist eine Freude für mich. Auf jeden Fall aber genauso auch eine Herausforderung. Und ich liebe Herausforderungen. Dieses Universum, was die Bühne anbietet. Bühne ist für mich etwas Kompletteres. Dieses Universum ist ein Magnet für mich.

Dann fällt es Ihnen wahrscheinlich tierisch schwer, nach dem Ende eines Konzerts wieder von der Bühne zu müssen.

Gabetta: Nein, nein. Es fällt mir nicht tierisch schwer. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Es ist nur schwer, wenn man ständig unterwegs ist und die emotionale Stabilität nicht irgendwo anders findet.

Wie würde dieser Satz für Sie weitergehen: „Der Klang meines Cellos ist …“?

Gabetta: Ich glaube sehr ehrlich, warm, schön, persönlich.

Von wem würden Sie gerne ein Cello-Konzert haben, wenn Sie die Wahl hätten? Wahrscheinlich Beethoven, ein weiteres von Elgar, ein zweites, drittes, viertes von Tschaikowsky?

Gabetta: Ich hätte gern noch etwas von Schubert. Zu Beethoven: Wir haben das Tripelkonzert, aber ein Solo-Cello-Konzert, das wäre nicht schlecht gewesen.

Was machen Sie gegen diese Gefahr, zur Fachidiotin zu werden? Auf Tourneen in jedem Ort vor dem Konzert ins Museum?

Gabetta: Meistens versuche ich, hinter das Konzert noch zwei freie Tage zu legen, dann kann ich die Stadt und die Museen besuchen. Das Spazieren in einer Stadt, nur das ist schon eine sehr schöne Sache. Man spürt, wie sie duftet. Und ich gehe mit meinem Kind in Museen, es ist jetzt vier.

Sie sprechen sechs Sprachen. In welcher macht Ihnen das Fluchen am meisten Spaß?

Gabetta: Deutsch ist eine ganz tolle Sprache, das muss ich ehrlich sagen (lacht). Deutsch klingt für mich einfach sehr kräftig, und die Worte klingen zweimal stärker als sonst.

Zum Abschluss bekommen Sie noch einen kleinen Werbeblock geschenkt: Im Oktober spielen Sie hier in Hamburg ein Duo-Konzert mit Ihrer langjährigen Freundin, der Geigerin Patrizia Kopatchinskaja. Wie würden Sie jemandem erklären, warum man da unbedingt hin muss?

Gabetta: Dieser Abend wird sehr speziell. Wer uns kennt, würde das verstehen. Wir kennen uns schon seit 18 Jahren, Sie wohnt in Bern, ich wohne in Basel. Wir sehen uns oft für Geburtstage oder zum Abendessen. Manchmal kochen wir nur, manchmal kochen wir mit Instrumenten. Wir proben Musik, wir lesen zusammen Musik. Das Konzert ist Teil einer Tournee, wir bringen eine Duo-Platte heraus, an der wir sechs Jahre gearbeitet haben. So aufgenommen, wie ich es mir immer vorgestellt habe: Hat man ein Stück parat, nimmt man es auf. Wir haben Kirchen ausgewählt, neue Stücke komponieren lassen, beim Menuhin Festival einen Wettbewerb organisiert, für junge Komponisten, die Lust haben, für uns etwas zu schreiben. Drei, vier Stücke werden bei der Platte dabei sein, aber auch Musik von Widmann, Xenakis, Kurtág. Aus all diesen Aufnahmen ist plötzlich eine CD entstanden. Eine Blume geboren.

Sie beiden machen sich also einen schönen Abend und Publikum darf dabei sein?

Gabetta: Es wird schon ein Konzert werden. Mit ihr ist es immer ein Erlebnis, jedes Mal. Es gibt nicht zwei Patricia Kopatchinskajas auf dieser Erde. Das Repertoire ist sehr spannend. Aber ich glaube auch, uns beide auf der Bühne zu erleben, ist sicher nicht langweilig.

Konzerte beim Schleswig-Holstein Musik Festival: 24.7., 20 Uhr, Lübeck / 25.7. Emkendorf: Werke von Schubert und Fauré und das 2. Cellokonzert von Saint-Saens. Kammerorchester Basel, Heinz Holliger (Dirigent). Infos: www.shmf.de. 29.10. Elbphilharmonie, Gr. Saal: Werke von J. S. Bach, Widmann u. a.; www.elbphilharmonie.de