Hamburg. Die Österreicherin Soap&Skin alias Anja Plaschg geht auf Kampnagel an ihre Grenzen. Und formt aus Pop-Klassikern Sehnsuchtsballaden.
„Emily Shepard an der Gitarre.“ Als Anja Plaschg ihre Band vorstellt, platzt der Knoten in der großen Kampnagel-Halle. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die österreichische Musikerin, die unter dem Namen Soap&Skin düstere, meditative Chansons spielt, hinter dem Klavier versteckt, so stimmungs- wie stilvoll.
Aber auch ein wenig langweilig, weil man Plaschg so von früheren Auftritten in Hamburg kennt, unter anderem 2019 im Großen Saal der Elbphilharmonie. Aber jetzt stellt sie ihre fünfköpfige Band vor und setzt Shepard an die Gitarre, was eben nicht stimmt, weil diese unübersehbar Geige spielt. Und plötzlich bricht ein Lachen aus der zarten, kontrollierten Plaschg heraus, „Oh Gott, ist das peinlich!“, sie stürmt zu Shepard, umarmt die Musikerin, kichert unsicher. Und reißt das Steuer radikal herum.
Kampnagel Hamburg: Plötzlicher Konzert-Wandel
Plaschg spielt Lou Reeds „Perfect Day“, verzögert, reduziert, dekonstruiert bis auf eine kleine Pianofigur. „It’s Just A Perfect Day“, zittert sie ihre Stimme in den Klassiker, „I’m Glad I Spent It With You“. Es beeindruckt, wie die 32-Jährige sich einen fünf Jahrzehnte alten Song aneignet, aber irgendwann möchte man schubsen, damit mehr passiert als nur ein zögerlicher Klavierakkord, ein gezupftes Streichinstrument.
Man ahnt nicht, dass gleich die Hölle losbrechen wird. Dass plötzlich die Streicher verstummen und elektronische Störgeräusche die Halle fluten, dass Industrialbeats übernehmen, Stroboskopfeuer ins Publikum ballert. Und dass Plaschg, die ihr Klavier bis dahin extrem vorsichtig behandelt hatte, als ob jeder Ton das Instrument verletzen könnte, mit Fäusten auf die Tasten einhaut.
„Where The Fuck Did Monday Go?“
Mit einem Schlag ist der melancholische Kammer-Pop der ersten Konzerthälfte einer Attacke gewichen, die auch die Musikerin nicht kalt lässt. Immer häufiger verlässt sie jetzt das schützende Klavier, geht an die Rampe, tanzt, mal exzessiv, mal selbstvergessen, mal in militärisch genauer Schrittfolge.
Und aus dem tastenden, brüchigen Gesang des Anfangs ist ein selbstbewusstes Rufen geworden: „Where The Fuck Did Monday Go?“, fragt sie mit David Bowies „Girl Loves Me“, und die Lichtregie stellt sie ins blickraubende Gegenlicht.
Plaschg: Auch eine talentierte Songschreiberin
Was an diesem beeindruckenden Auftritt ein wenig untergeht: die talentierte Songschreiberin Plaschg. Ein Großteil der Stücke sind Cover-Versionen, von Lana Del Rey („Gods And Monsters“), Omar Suleyman („Mawal Jamar“), Robert Johnson („Me And The Devil Blues“). Dass Plaschg das beherrscht, hat sie schon vor Jahren bewiesen, mit dem 1986er-Discotrack „Voyage, Voyage“ des französischen One-Hit-Wonders Desireless, der auf Kampnagel als abgründige Sehnsuchtsballade erklingt.
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Dank ihrer Interpretation macht sie diese Songs zu Soap&Skin, sie werden zu etwas eigenem. Doch wenn sie zwischendurch ein selbst geschriebenes Stück einfügt wie das berührende „Vater“, dann wünscht man sich noch mehr eigenes.