Hamburg. Mit privaten Anekdoten aus dem Schreiballtag hat die Autorin das Festival eröffnet. Warum sie sich Mordmotive gern ganz genau anschaut.
Alle Augen sind auf die Bühne gerichtet, als Charlotte Link das Buch aufschlägt. Die Spannung im voll besetzten Saal ist am Dienstagabend greifbar, als sie die Brille aufsetzt und zu lesen beginnt.
Zur Eröffnung des Hamburger Krimifestivals stellt die Bestseller-Autorin auf Kampnagel ihren neuen Kriminalroman. „Einsame Nacht“, vor. „700 Wochen lang waren ihre Krimis insgesamt auf der ,Spiegel‘-Bestsellerliste“, berichtet Christian Heymann, Geschäftsführer der Buchhandlungen Heymann. Gemeinsam mit Rainer Moritz, dem Leiter des Hamburger Literaturhauses, und Volker Albers, Programmleiter des Festivals, eröffnet er die fünftägige Lesungsreihe.
Hamburger Krimifestival: Charlotte Link las auf Kampnagel
„Krimifans sind wunderbare Menschen, Sie werden hier neue Freundschaften schließen“, sagt Heymann lächelnd. Noch vor der Lesung hatte die Hamburger Sängerin Anna Degenbusch sich ans Klavier gesetzt und die Besucher mit ihrem Lied „Haifischbarpolka“ erfreut.
Im Gespräch mit Moderator Giuseppe Di Grazia („Stern“) teilt Charlotte Link an diesem Abend viele persönliche Anekdoten über den Schreibprozess und ihre persönliche Entwicklung als Autorin. „Beim Schreiben laufe ich manchmal murmelnd im Haus herum, das wirkt dann ein bisschen schräg“, so Link schmunzelnd.
Link sieht hinter jeder Straftat auch die persönliche Geschichte
Ihr neuer Roman handelt von dem Mord an einer jungen Frau im englischen North York Moors, die nach einer nächtlichen Autofahrt tot aufgefunden wird. Schnell führen Fingerabdrücke die Ermittlerin Kate Linville auf die Spur eines lange ungelösten Cold Case. Alte Kriminalfälle in die Geschichte einzubinden – das reize sie immer wieder, so Charlotte Link. „Alle Figuren, die man einführt, haben natürlich eine lange Vorgeschichte.“ Oft scheine es so, als sei ein Fall unabhängig – und am Ende hänge er doch mit einem anderem Verbrechen zusammen.
Wenn Charlotte Link von ihrer Arbeit erzählt, spürt man ihre Leidenschaft fürs Schreiben. Sie wirkt bodenständig, sympathisch und scheut sich nicht, Details aus ihrem schriftstellerischen Alltag zu erzählen. Schnell wird deutlich: Für sie ist es keine Option, besonders brutale Kriminalromane zu veröffentlichen. „Es ist viel spannender, keine sadistischen Verbrecher zu beschreiben.“ Sondern Menschen, die im falschen Moment die falschen Entscheidungen treffen – „und dann irgendwann mit dem Rücken zur Wand stehen“. Also Täterinnen und Täter, die „eigentlich nicht mit krimineller Energie“ ausgestattet sind. Solche Geschichten faszinierten Charlotte Link auch schon mit Anfang 20 – damals wollte sie Juristin werden.
Mit Fernsehproduktionen habe sie oft schon lange diskutiert
Bei einem Praktikum hatte sie die Gelegenheit, mit Häftlingen in einem Gefängnis zu sprechen. „Das waren alles so nette Menschen.“ Natürlich wolle sie deren Straftaten nicht gutheißen. „Aber das waren häufig Menschen mit sehr tragischen Geschichten, die ihre Taten bitter bereuten.“ Es sei spannend, sich die gesellschaftlichen Hintergründe für schreckliche Gewalttaten anzuschauen.
Auch von Auseinandersetzungen mit einigen Fernsehsendern erzählt die 59-Jährige, deren Bücher schon häufig verfilmt wurden. „Fernsehredakteure sind meist nicht damit einverstanden, Verbrecher differenziert darzustellen.“ Unter anderem, weil sie unter dem Druck stünden, hohe Einschaltquoten zu erreichen. Aber es gebe eben selten „durch und durch böse Menschen“.
„Dann werde ich schon sehr ärgerlich“
Vor dem Verkauf ihrer Filmrechte gebe es daher oft lange Debatten. Auch beim Schreiben erlebe sie ab und zu Momente, die sie zur Weißglut bringen: „Manchmal wollen die Figuren nicht so, wie ich will. Man kann nicht gegen eine Figur schreiben.“ Das verändere dann sogar die Handlung. „Dann werde ich schon sehr ärgerlich“, sagt Link lachend.
Eine Frage, die viele ihrer Leserinnen und Leser beschäftigt, stellt Moderator di Grazia an diesem Abend: Warum haben Links Krimis häufig kein klares Ende? Die Autorin hat sofort eine Antwort parat: „Weil ich nah an der Realität bleiben will.“ Im echten Leben gebe es nach einem Verbrechen eben nicht immer eine Lösung oder Gerechtigkeit. Trotzdem wisse sie, wie wichtig es für Angehörige sei, dass die Täter einer Straftat ermittelt werden. „Das Leid wird nie verschwinden, aber so kann die Familie einen Schritt davon zurücktreten.“ Erst dann gebe es die Chance, in irgendeiner Form damit abzuschließen.
Hamburger Krimifestival: Tod ihrer Schwester war für Link ein großer Verlust
Von einem Verlust in ihrem eigenen Leben erzählt Charlotte Link an diesem Abend ebenfalls. Ihre sonst feste Stimme beginnt zu zittern, als die Wiesbadenerin den Tod ihrer Schwester erwähnt. Diese starb vor einigen Jahren an Krebs. Seitdem habe sich ihr Blick aufs Leben und auf persönliche an ihrer Arbeit verändert. „Buchkritiken kommen manchmal einer öffentlichen Hinrichtung gleich.“ Doch seit diesem schrecklichen Verlust sei ihr relativ egal, was andere schreiben. Er habe ihr noch mal vor Augen geführt, was im Leben wirklich wichtig ist.
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Bis die Autorin ihr Schreibtalent selbst erkannte, dauerte es eine Weile. „Als Jugendliche dachte ich oft, dass ich so wie ich bin nicht ausreiche“, sagt Link. Und erzählt eine Geschichte aus der Schulzeit: Bei ihrer Abifeier habe sie als gute Schülerin eine Rede verfasst – weil sie sich selbst nicht traute, hielt diese schließlich ein Mitschüler. „Er bekam so viel Lob für den Text – da dachte ich mir, so kann es nicht weitergehen.“
Ging es ja auch nicht, wie er kräftige Schlussapplaus auf Kampnagel zeigt.
Unter dem Titel „Nervenkitzel“ lädt das Hamburger Krimifestival auf Kampnagel (Jarrestr. 20) noch bis zum 5. November zu Lesungen und Autorengesprächen ein. Internationale Autorinnen und Autoren sowie Expertenteams geben dabei Einblicke in ihre Arbeit. Karten gibt es unter anderem noch für den Abend mit Ulrich Wickert zu seinem Krimi „Die Schatten von Paris“ (5.11., 20 Euro) und für die Erstausstrahlung des neuen „Tatort“-Films „Borowski und die große Wut“ (5.11., ab 12 Euro). Infos: krimifestival-hamburg.de