Hamburg. Das Orchester läutete mit Strawinsky, Haydn und Fauré die dunkle Jahreszeit ein. Ein Happy End gab es trotzdem noch.

Nicht nur draußen vor dem Fenster wird es herbstlich und unschön früh dunkel; man muss sich, auch sprichwörtlich, nun wärmer anziehen und tapfer bleiben. Auch in klassischen Konzertprogrammen gibt es Jahreszeiten. Allerdings maximal zwei: alles andere, ganzjährig spielbar – und jene Stücke mit einem leichtem Trauerflor, mollig und klagend über die Endlichkeit und den Glauben und andere Grundsatzthemen, die offenbar an den Wechsel zur Winterzeit gekoppelt sind.

Die nie ohne passende Begleitung kommen. Ihr erstes Programm im November, mit dem die Symphoniker Hamburg einen Sonntagmorgen im Großen Saal der Laeiszhalle bestückten, bestand also saisonal pünktlich und zum allergrößten Teil aus Elegischem, Vergeistigtem und Abgedunkeltem. Und selbst was tatsächlich charakterlich schneller war als ein geruhsames „Sinnierend vor sich hin grübeln“, war dennoch nicht in leuchtendem Dur verfasst.

Laeiszhalle: Chor wird von Bläserquintett begleitet

Strawinskys „Mass“, ein durchaus selten gespieltes Stück aus den 1940er-Jahren, hält sich zwar an die liturgische Textvorlage, ist ansonsten aber weit entfernt von den üppiger inszenierten Messvertonungs-Konventionen früherer Epochen: Der Chor wird lediglich von einem doppelten, klangfarblich interessant gemischten Bläserquintett begleitet.

Keine Streicher, keinerlei ablenkende, dekorative Schnörkel, neoklassizistisch streng und immer wieder chromatisch verfremdet ist diese Musik, die eindeutig nicht sofort aus den Sitzen reißt und Jahrhunderte älter wirkt, als sie ist. Spröde Schönheit, eine Oberfläche wie ein antikes griechisches Relief, hochinteressant, aber auch leicht blutarm, falls man nicht aufpasst.

„La Passione“-Sinfonie verlangt eine andere Ausdrucksstärke

So gestaltete Symphoniker-Chefdirigent Sylvain Cambreling diesen Sonderling dann auch – vorsichtig, behutsam, auf Ausgeglichenheit und die Farbschattierungen der gut ausbalancierten Bläser bedacht, die zu bedenken waren, um nicht ins Fadblasse abzugleiten. Die Sängerinnen und Sänger der Europa Chor Akademie Görlitz erhielten hier die erste von zwei Gelegenheiten, ihre stimmliche Klasse und stilästhetische Genauigkeit unter Beweis zu stellen.

Ganz andere Ausdrucksstärke und -tiefe verlangt Haydns „La Passione“-Sinfonie, der man nur halbwegs gerecht wird, wenn man sie vorrangig in Richtung der Hochklassik interpretiert und auf Mozart schminkt. Cambrelings Sichtweise auf Haydns 49. hätte wegen ihres barocken Vokabulars etwas mehr historische Informiertheit und Zielstrebigkeit verdient gehabt. Doch er zog es vor, mit relativ großer Besetzung relativ kontrastreduziert einen Satz nach dem anderen abspulen zu lassen. Das war haydnhübsch in Zartbitter, aber mehr auch nicht.

Laeiszhalle: Bendžiūnaitė sang Sopran-Part sehr eindringlich

Zärtlicher als in Faurés Requiem zelebriert kann man wohl keine Totenmesse singen. Fauré macht daraus kein sich aufbäumendes Opern-Drama wie Verdi, keine Anklage wie Mozart, kein trotziges Hinterfragen wie Brahms. Faurés Musik fügt sich genügsam und klangschön, ein letztes Mal, ins Schicksal. Als Romantiker, der er wohl ist, ließ Cambreling die langen Melodielinien des Chors und die elegant dezenten Begleitungen des Orchesters aus sich selbst heraus wirken.

Lauryna Bendžiūnaitė sang ihren Sopran-Part eindringlich und präsent, Andreas Wolfs Bariton war schlank und beglückend passend. Und mit dem selig ins Himmlische entschwebenden Requiem-Bonus „In paradisum“ fand das Programm tatsächlich zu einem Happy End. Trotz November.