Hamburg. Evgeny Kissin spielt Mozart mit sattem, großem, geerdeten Ton. Nagano steuert sicher durch die wilden Seestücke von Debussy.

Wie überzeugend und bewegend ein Mozart-Interpret als Mozart-Versteher ist, zeigt sich so ziemlich nirgendwo schneller und deutlicher als in den langsamen Mittelteilen seiner Solo-Konzerte. Die reine Brillanz, diese verspielte, launig überdrehte Auftrumpfen in den Ecksätzen – das könnte man lernen oder sich zumindest manuell antrainieren, um oberflächlich unfallfrei durchzukommen. Für die Ernsthaftigkeit und Tiefe der Adagio-Sätze aber muss man reif und mutig, vielleicht sogar tollkühn bis angstbefreit sein.

Evgeny Kissin, inzwischen knapp jenseits der 50, traut sich als Mozart-Pianist dorthin, wo es weh tun soll: in die Abgründe aus den wenigen Noten, die solch ein Adagio eröffnet. Dass er wegen einer noch nicht ganz auskurierten Sehnenscheidenentzündung im linken Arm das ursprünglich geplante, brachial virtuose 3. Rachmaninow-Konzert kurzfristig gegen Mozarts A-Dur-Konzert KV 488 austauschte, war also nur auf den ersten Blick bedauerlich. Denn die Aufgabe, mit der er so die Philharmoniker und ihren Chefdirigenten Kent Nagano bei seinem Gastauftritt im Großen Saal der Elbphilharmonie auf eine Bewährungsprobe stellte, war deswegen nicht kleiner. Nur gänzlich anders.

Kissins Mozart-Perspektive: Der Ton ist satt, groß und geerdet

Kissins Mozart-Perspektive ist eher gereift und weniger impulsiv, jugendlich ist da keine Leistungsschau-Kategorie mehr. Seine Interpretation hat durchaus Jahresringe, er bringt und zwingt große Klarheit in alles, was er spielt. Der Ton ist satt, groß und geerdet, vielleicht schon etwas zu groß, näher an frühem Beethoven als an spätem Mozart. Die Tempi haben nichts frontal Sportliches, der innere Ruhepuls ist ihm wichtiger als die Show.

Und wie Kissin am Sonntagvormittag, nach einem leicht gemächlich absolvierten Kopfsatz ins Adagio-Thema hineinhörte, das war ganz große Gestaltungs-Kunst. Das Orchester umrahmte angemessen, Kissin spielte mit ihnen für sich und den Saal. Nach Mozarts „alla turca“-Rondo lieferte er mit einem sonor funkelnden Chopin-Walzer ein ideales Argument für einen möglichst baldig folgenden Solo-Abend.

Nagano steuert sicher durch die drei wilden "La Mer"-Seestücke von Debussy

Vor der Pause konnte Nagano mit einer interessant gemischten Doppel auftrumpfen: „Pelléas et Mélisande“, aber nicht aus der melancholisch verträumten Oper von Debussy, sondern als Suite vom etwas jüngeren Fauré. Und danach dann wirklich Debussy, vom Feinsten, mit den drei „La Mer“-Seestücken, die das innere Auge mit raffiniert skizzierten Panoramen einer nassen, wilden, kreatürlich sich aufbäumenden Naturgewalt-Schönheit versorgen.

Die seidigen Nebelschleier aus Melancholie, die Fauré über seine Vertonung der Tragödie drapiert hatte, waren bei Nagano in guten Händen und ein Plädoyer für dessen dezenten Charme. Das Wogen und Brausen, der Wellengang und die Klangfarben-Palette, mit der Debussy ein perfekt unberechenbares Meer beschreibt, so etwas sicher zu steuern, das ist genau die Art Aufgabe, die Nagano liegt.

Das Konzert wird am 31.10., 20 Uhr, wiederholt. Evtl. Restkarten an der Abendkasse.