Hamburg. Der österreichische Bariton Georg Nigl fasziniert mit finsteren Liedern von Schubert, Beethoven und Rihm. Der Saal schweigt dankbar zurück.
Jeder Satz? Das genügt ihm nicht. Jedes Wort, jede Silbe, und wo es wirklich bedeutungstragend ist, auch nur ein einziger Vokal – wie im letzten Lied aus Beethovens Zyklus „An die ferne Geliebte“, in dem er bei „Und du singst“ eine ganze Kurzgeschichte aus dem „i“ in „singst“ herausholte.
Für Georg Nigl ist keine dramafähige Einheit eines Textes zu klein, um sich ihrer Ausgestaltung nicht hingabevoll zu widmen. Distanz ist da nicht mehr möglich, er kriecht geradezu in die Worte hinein, zieht sich ihre Aussagen über, so dass sie hautnah, passgenau zu seinen werden. Schon klar, welcher Lied-Interpret, der seine Gage halbwegs wert wäre, macht das nicht – oder versucht es zumindest? Nigl kann es. Einfach so.
Elbphilharmonie: Nigl singt finstere Lieder
Der österreichische Bariton kam in den Kleinen Saal der Elbphilharmonie, um dort sein faszinierend kluges „Vanitas“-Programm vorzustellen, das Solitäre von Beethoven und Schubert auf Abgründiges und Vielbödiges von Wolfgang Rihms Zyklus „Vermischter Traum“ treffen lässt.
Rihm hat ihm diese finsteren Lieder über existenziell fragende Texte des Barockdichters Gryphius auf den Charakter geschrieben. Kunstlieder könnte man dieses Kontrast-Repertoire nennen, doch Nigl machte insbesondere aus seiner Schubert-Auswahl verfeinerte, veredelte Volkslieder, die ihre Geschichten über den ewig wahren Dreiklang Liebe, Einsamkeit und Tod ins Jetzt erzählen. Ganz einfach, doch ganz und gar nicht schlicht.
Exquisiter Liederabend mit Hammerflügel
Nigls Stimme, eher hell und leicht statt saftig-schwer, ist nur raumfüllend, wenn sie es soll, seine Stärke ist das Erzeugen von Sehnsucht nach Nähe. Man muss nicht nur genau hinhören, wenn er sich zurücknimmt, man will es dann auch.
Wie klug auch, dass er für diesen exquisiten Liederabend nicht nur den Standard-Steinway-Flügel als Begleitung dabei hatte, sondern für die Wiener Klassiker einen historisch und klangästhetisch passenderes Hammerflügel. Schmalere Gestalt, größere Wirkung.
Nigl und Pashchenko wirken wie Zwillinge
Olga Pashchenko begleitete Nigl so einfühlsam und gefühlssynchron, als wären die beiden siamesische Zwillinge. Die erwartbaren Hits ließ Nigl – bis auf Schuberts „Forelle“ – entspannt links liegen, Herzensbrecher kann ja schließlich werden, was immer er dazu machen will.
Manchmal sprach er fast mehr, als dass er „sang“. Er erzeugte und ertrug lange Momente gespannter Stille, der Saal schwieg dankbar zurück, bis der Beifall kam. Nichts war pathetisch oder frontal gewollt, alles war aufrichtig.
CD: „Vanitas“ Georg Nigl (Bariton), Olga Pashchenko (Klavier) (alpha, ca. 20 Euro)