Hamburg. „Im Menschen muss alles herrlich sein“ eröffnet das Festival. Erst zeigt der im Exil lebende Journalist, wie er eingesperrt war.

Erfahrungen mit repressiven Systemen hat der im Berliner Exil lebende ehemalige Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, reichlich. Nun hat er seine Zelle im Hochsicherheitsgefängnis Silivri für ein Kunstprojekt beinahe maßstabgetreu von Shahrzad Rahmani im Hof des Thalia in der Gaußstraße nachbauen lassen.

Es gelte, all jene, die unter der Missachtung der Menschenrechte in der Türkei in Gefangenschaft leiden, nicht zu vergessen und sie weiter zu unterstützen, so Dündar anlässlich der Eröffnung der zweiten Ausgabe des transkulturellen Festivals „Nachbarschaften – Komşuluklar“.

Pauline Rénevier (l.) und Oda Thormeyer in „Im Menschen muss alles herrlich sein“.
Pauline Rénevier (l.) und Oda Thormeyer in „Im Menschen muss alles herrlich sein“. © Krafft Angerer

Umbrüche zu bewältigen, die für sie viel zu groß sind, haben auch die Menschen in Sasha Marianna Salzmanns Roman „Im Menschen muss alles herrlich sein“, den Regisseur Hakan Savaş Mican im Thalia in der Gaußstraße zur Uraufführung bringt.

Thalia Gaußstraße: Figuren im Generationenkonflikt

Auf einer bis auf ein paar zusammengeräumte Möbel leeren Bühne (Michael Köpke), in deren Hintergrund bewegte und sehr triste Bilder vom Unterwegssein vorbeistreifen, führt er mit zurückhaltender Regie eine harte, entkernte Version des Romans vor, in der die Poesie nicht mehr so richtig aufblüht, die Brutalität des Erlebten jedoch umso mehr.

Die Figuren sind auf der Suche nach ihren Wurzeln, nach einer Identität und stehen zugleich mitten in einem Generationenkonflikt. Die beiden Frauen Lena (Oda Thormeyer) und Tatjana (Oana Solomon) sind in der Sowjetunion aufgewachsen, im „Goldenen Zeitalter der Stagnation“ mit Korruption, Enge und Mangel.

Sie erlebten die kurzzeitige Öffnung, wurden mehr oder weniger zufällig schwanger und stranden beide im thüringischen Jena. Tatjanas Tochter Nina, mit präziser, glasiger Kälte gespielt von Pauline Rénevier, ist in das Universum der Computerspiele mit ihren Wahl-Identitäten versunken. Lenas Tochter Edi, pointiert gegeben von Toini Ruhnke, verweigert sich erst der komplexen russisch-ukrainisch-jüdischen Vergangenheit, um dann zu einer umso genaueren Suche aufzubrechen. Ein intensiver Theaterabend.

„Im Menschen muss alles herrlich sein“ weitere Vorstellungen 29.10., 20 Uhr, 20.11., 19 Uhr, 29.11., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190, Karten unter T. 32 81 44 44