Hamburg. New-Wave-Legende gibt bemerkenswertes Konzert in der fast ausverkauften Barclays Arena. Sänger Robert Smith überrascht.
Robert Smith steht am Bühnenrand und schaut. Kurz erschrickt man: Der Sänger der britischen Postpunk-Legenden The Cure ist mittlerweile 63, Jahrzehnte ungesunden Lebensstils haben ihre Spuren hinterlassen, und jetzt blinzelt er ins Publikum, die Band spielt erste Akkorde, Lichter flackern, aber Smith macht – gar nichts. Er schaut, interessiert, erstaunt. Ist der womöglich nicht ganz bei sich? Weiß er, wo er sich befindet, was er macht? Doch dann bricht der erste Song los, wuchtiger Gruftrock. Die Band spielt zum Konzertbeginn das dunkle, walzende „Alone“, eine neue Komposition. Und sofort wird klar: Smith weiß ganz genau, was zu tun ist.
The Cure in Hamburg: düster und kraftvoll
Seit knapp 14 Jahren haben The Cure keine neue Musik mehr veröffentlicht, eine neue Platte mit dem Titel „Songs Of A Lost World“ wird seit längerem angekündigt, und „Alone“ gibt einen Eindruck davon, wie diese klingen könnte: Ein bisschen nach der „Disintegration“-Phase der Band Ende der Achtziger, pathetisch, melancholisch, von den Fans geliebt. Und weil das so gut passt, geht es weiter: „Pictures Of You“, „Closedown“, „Lovesong“, später dann „Fascination Street“ und „Lullaby“.
Sie stammen alle aus dem Jahr 1989, sind tendenziell düster und kraftvoll, geprägt von weiten Keyboardflächen, hartem Schlagzeug und dunklen Gitarrendrones. Und von Smiths klagender Stimme, die auch in der fast ausverkauften Barclays Arena in jugendlicher Tristesse erklingt. Bemerkenswert: Wie wenig diese Stimme gelitten hat über die Jahre, wie unverkennbar dieses Heulen, dieser stets ein bisschen neben dem Ton liegende Gesang den Klang der Band prägt.
The Cure sind nach 44 Jahren noch unverkennbar
The Cure klingen nach 44 Jahren Bandgeschichte immer nach The Cure, trotz teilweise haarsträübender Stilwechsel von Wave zu Rock, von Rock zu Dance, von Dance zu Funk – das liegt an Smiths unverwechselbarer Stimme. Und es liegt auch daran, dass die früher notorisch wechselnde Bandbesetzung sich mittlerweile, ohne den Druck ständiger Neuveröffentlichungen, konsolidiert hat.
Bassist Simon Gallup ist mit Unterbrechungen seit 1979 dabei, Keyboarder Roger O’Donnel (ebenfalls mit Unterbrechungen) seit 1989, Schlagzeuger Jason Cooper seit 1995, auch Gitarrist Reeves Gabrels spielt seit zehn Jahren mit Smith. Außerdem haben The Cure in Hamburg noch einen weiteren Rückkehrer dabei: Perry Bamonte, der ab 1995 15 Jahre Keyboard und Gitarre bediente. Was dem Auftritt einen recht druckvollen Charakter verschafft.
Das ist nicht unproblematisch: Ständig steht ein Sextett auf der Bühne, wenn Smith selbst in die Saiten greift, sind drei Gitarren zu hören. Dazu kommen die prägnanten Keyboards und Coopers immer stark nach vorne drängendes, vertracktes Schlagzeugspiel – minimalistische Songs wie der prototypische Postpunk „A Forest“ wirken da plötzlich überladen, versumpfen im Zuviel von Instrumenten und Klangflächen, auch wenn der Cure-Sound im Vergleich zu dem der Vorband The Twilight Sad recht diffizil abgemischt ist.
Filigrane Kompositionen werden zu knalligem Rock
An anderen Stellen sorgen die Arrangements dafür, dass die filigranen Kompositionen zu knalligem Rock werden, bei „Push“ und „Play For Today“ fühlt man sich ein bisschen wie beim Stadionrock-Konzert (und dass man zu diesem Zeitpunkt fast vergessen hat, dass man sich in einer eng besetzten Riesenhalle befindet, sagt eben auch etwas aus über die Qualität des Konzerts). Kurz gibt man sich dieser Massenbegeisterung hin, bei der Zeile „Put Your Hands In The Sky“ heben sich die Hände Richtung Himmel.
Aber man weiß ja, dass der dazugehörige Song „From The Edge Of The Deep Green Sea“ davon handelt, dass man sich selbst etwas vormacht, also ist man halb schon wieder bereit für die nächste Dosis Melancholie. „It’s Just Rain, I Smile / Brushing My Tears Away.“ Und die sorgsam ausgesuchten Visuals verwandeln die Halle in ein Meer aus Licht, in dem man versinken möchte, angesichts der Gnadenlosigkeit dieser Zeilen.
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Dramaturgisch ist der Abend beeindruckend komplex aufgebaut. Alles passt zueinander, die wenigen neuen Songs fügen sich perfekt in die Düsterrock-Stimmung von Platten wie „Disintegration“ und „Pornography“, zwischendurch gibt es ein paar selten gehörte Klassiker wie „Burn“ vom Soundtrack des Horrorfilms „The Crow“ (bei dem Smith mit einem Herz für Misstöne zur Flöte greift) oder „Shake Dog Shake“, während die einschmeichelnden Popsongs zunächst zurückgehalten werden.
Als allerletzte Zugabe ist dann nur noch ein einziger Song möglich
Die folgen dann im zweiten Zugabenblock: „The Walk“, „Friday I’m In Love“, „Just Like Heaven“, Hit auf Hit, und das ist ein Hinweis darauf, dass The Cure nicht nur eine musikalisch extrem starke Band ist, sondern auch eine grundsympathische Haltung an den Tag legt. Das sind sechs Musiker mit Anspruch, die sagen: „Ja, wir spielen hier ein künstlerisch avanciertes Programm, aber wenn die Leute Hits wollen, dann sollen sie die auch kriegen! Allerdings zu unseren Bedingungen!“
Nach gut zweieinhalb kräftezehrenden Stunden grinst der Sänger ins Publikum, 63 Jahre alt, aber ganz und gar kein alter Mann. „Es muss einen letzten Song geben, das ist er“, dann spielt er „Boys Don’t Cry“ von 1979: lärmig, holpernd, rockend. Und man ist gleichzeitig tieftraurig und herzüberschwemmend glücklich.
The Cure im Netz: thecure.com