Hamburg. Die legendären Progrocker machten in der Laeiszhalle Station. Bandkopf Ian Anderson präsentierte sich sympathisch selbstironisch.

Ein anachronistisches Duett, auf das sich Ian Anderson in der Laeisz­halle zwischendurch einließ: Nahezu synchron in Posen und Bewegungen mit seinem auf die Bühnenrückwand projizierten 45 Jahre jüngeren Alter ego sang der 75-Jährige den Titelsong des Albums „Songs From The Wood“ von 1977 – eine zugleich ironische wie auch melancholische Reminiszenz an die frühen Jahre einer Rock-Legende.

Seit 1968 existiert die britische Band Jethro Tull, und Anderson ist der einzige, der von Anfang an dabei war. Die aktuelle Europa-Tournee ist ein Kraftakt: fast 50 Konzerte in elf Ländern, Hamburg war eine der letzten Stationen. Das Ganze unter dem Motto „The Prog Years“, eine Hommage an die Aufbruchstimmung der frühen 70-er, als Jethro Tull zu den Protagonisten des Progressive Rock zählten, der in anspruchsvoll-vertrackten Kompositionen mit genreübergreifenden Bezügen, handwerklich virtuos in oft großen Formaten, der Rockmusik neue Horizonte aufzeigte.

Laeiszhalle: Jethro Tulls spielt 17 Songs

Für Jethro Tulls besondere Note sorgte vor allem Anderson: sein Sinn für einprägsame musikalische Motive, das markante Querflötenspiel und nicht zuletzt sein allgegenwärtiger skurriler Humor. Zu Letzterem schien zu passen, dass Jethro Tulls groß angelegte Prog-Werke schlechthin, die Konzeptalben „Thick As A Brick“ und „A Passion Play“, im aktuellen Programm nicht vorkamen.

Stattdessen viele Songs aus der Frühzeit der Band, zum Teil in neuem Gewand, etwa „Living In The Past“ von 1969, zu Bildern von Woodstock, Vietnam-Krieg und Mondlandung. Insgesamt 17 Songs spielte die Band in knapp zwei Stunden, spätere Alben waren nur vereinzelt vertreten.

Anderson nicht mehr der Geschichtenerzähler von früher

Die begleitenden Video-Projektionen illustrierten nicht nur, sie lenkten auch von dem ab, was die reine Bühnenpräsenz nicht hergab. Ian Anderson ist nicht mehr gut genug bei Stimme, als dass er der hinreißende Geschichtenerzähler von früher sein könnte. Es war jedoch beeindruckend zu sehen und zu hören, wie er als Querflötist omnipräsent zu sein schien.

Und er war schlau genug, nicht eine Cover-Version seiner selbst abzuliefern, stattdessen ironisierte er seine ikonischen Posen von früher, vor allem die Flötensoli. Während auf der Leinwand zu sehen war, wie er ausdauernd auf einem Bein stehend ekstatisch spielte, langer Mantel und Mähne wehten, winkelte der ältere Herr ab und zu kokett ein Bein kurz an. Klar, dass auch „Too Old To Rock ‚n‘ Roll: Too Young To Die“ auf der Setlist stand.

Laeiszhalle: Jethro Tull begeistert noch immer

Die junge Band begleitete exzellent, doch es fehlte der raue, anarchische Charme der frühen Jahre. Gitarrist Joe Parrish-James (Jahrgang 1995) mag technisch virtuoser als sein Vorgänger Martin Barre sein, doch der bleibt das Original.

Dennoch begeistert Jethro Tull noch immer, und das liegt wesentlich an der Qualität des klassischen Materials: Zum überwältigenden Finale gab es eine dekonstruierte Version von „Aqualung“ und das mitreißende „Locomotive Breath“ mit sich beschleunigender Wiederholungsschleife. Am Ende: „The Dam Busters March“ von Eric Coates als versöhnliche Welt-Umarmung. Lang anhaltender Beifall.