Hamburg. Das Team um Regisseur Alfonso Romero Mora findet einen eigenen Dreh der Geschichte: unterhaltsam wie hintergründig.

Mit der Wissenschaft hat es dieser Faust von Charles Gounod nicht so. Irgendwie redet er am Anfang ein bisschen davon, ist am Ende seines Lebens frus­triert, irgendwas fehlt, obwohl er alles hat. So steht es ja in der Geschichte nach Goethes Tragödie.

Mit der Liebe hat es über die Jahre nicht richtig geklappt. Auch hier viel Frust, die Manneskraft lässt nach. Der Teufel muss her, er soll es richten, die Jugend zurückbringen und eine schöne Frau dazu. Aber es endet in der Katastrophe. Gretchen geschwängert und verlassen, fast hingerichtet wegen Kindsmord und in letzter Sekunde gerettet.

Kammeroper: Faust von Charles Gounod mit eigenem Dreh

Und Faust, und Mephisto? In der neuen Inszenierung an der Hamburger Kammeroper im Allee Theater an der Max-Brauer-Allee findet das Team um Regisseur Alfonso Romero Mora einen eigenen Dreh der Geschichte, mit einer eigenen deutschen Übersetzung des französischen Originals von Barbara Hass. Spannend!

Schon die langsame und düstere „Introduction“ klingt in der von Dirigent Ettore Prandi für Flöte, Horn, Geige, Bratsche, Cello und Kontrabass gekonnt eingerichteten Version ungewohnt, spätromantisch, manchmal fast expressionistisch-modern. Dazu hat das Regie-Team vor Gounods eigentlichem Beginn seiner Oper eine freie Version von Goethes „Vorspiel auf dem Theater“ erfunden.

Szenen aus Goethes „Werther“ als Schattenspiel

Man spielt Szenen aus Goethes „Werther“ als Schattenspiel. Links von der Bühne ein Schminktisch, wohl in einer Künstler-Garderobe, rechts ein Regiepult mit technischem Gerät. Eine Theaterprobe. Dunkle Figuren, eine Pistole, Werthers Selbstmord wird angedeutet.

Bruch, Licht an. Auf der Bühne sehen wir – quasi gespiegelt – den Zuschauerraum des realen Allee Theaters, mit den so individuellen alten, goldbemalten Stühlen. In den Stuhlreihen ein Regiepult, eine Regieassistentin und der Regisseur. Es ist Faust, der heftig den angeblichen Dilettantismus der Schauspieler kritisiert. Immer wieder versichert er sich bei seiner Assistentin, das Richtige zu sagen, wiederholt, was sie ihm vorgibt. Dieser angegraute Faust wirkt etwas durch den Wind, unbedarft, ein bisschen dumm. Frustriert entlässt er sein Ensemble, bleibt einsam in seinem Theater zurück, und die große Lebensbilanz beginnt. Selbstmord scheint der Ausweg, doch der feige Faust schafft es nicht, den selbstgemixten Gifttrank hinunterzuschütten.

Titus Witt gibt den so eleganten wie diabolischen Mephisto

Also wird der Satan herbeigerufen, mit Zauberkraft soll das Leben noch einmal so richtig genossen werden. Elegant und diabolisch kommt Mephisto daher, im Anzug, mit schwarzen Lippen, weiß glänzenden Zähnen, lang gemalten Koteletten. Dieser Mephisto führt Böses im Schilde, und das macht ihm Spaß. Titus Witt singt die Bassbariton-Partie nicht nur mit vielen Abstufungen und fiesen Zwischentönen, er spielt sie vor allem mit Lust an der Gemeinheit.

Wenn er seine Augen funkeln oder seine Zunge immer wieder gefährlich und lüstern züngeln lässt, zeigt das eine packende Bühnenpräsenz. Er schlüpft in verschiedene Rollen, wird zum scheinheiligen Priester oder Magier – er macht Faust kurzerhand per Blondlockenperücke zum jugendlichen Liebhaber – oder er wird selbst zum Liebeswerber bei Margarethes Freundin Martha, um Faust freie Bahn für Gretchen zu verschaffen. Er ist der eigentliche Regisseur der Geschichte, aber zuletzt muss er doch eine Niederlage einstecken.

Margarethe nämlich besinnt sich am Schluss, wo sie auf einer Liege festgeschnallt in einer Zelle auf ihre Hinrichtung wartet, auf ihre Selbstbestimmung. Sie will sich nicht retten lassen und mit Faust und Mephisto fliehen. Mit ihrem „Heinrich, mir graut vor dir“ verlässt sie die Bühne. „Regisseur Mephisto“ brüllt verzweifelt, dass sie sich nicht an die Regie halte.

Vorher hatte Mephisto ihr noch eine Pistole gegeben, mit der sie aber nichts zu tun haben wollte und sie an Faust weitergegeben hat. Und der jagt sich dann, wie Werther am Anfang der Inszenierung, eine Kugel in den Kopf. Mephistos (Regie-) Plan ist gescheitert. Wütend zieht er sich in die Hölle zurück, in ein rot glühendes Loch im Boden. Faust schleudert er dabei ein „Aber gewonnen hast du nicht“ an die Ohren, aber der liegt ja schon in seinem Werther-Identifikationswahn mausetot am Boden.

Charles Gounods „Faust“ in Hamburg überzeugt mit viel Witz und doppeltem Boden

Regisseur Alfonso Romero Mora ist mit seinen Sängern ein kurzweiliges szenisches Spiel gelungen, mit viel Witz und doppeltem Boden. Faust kommt bei ihm als schwacher, triebgesteuerter Titelheld daher. Stian Økland singt die schwere Tenorpartie mit Bravour, manchmal ein wenig forciert auf Kosten des Stimmschmelzes.

Großartig flexibel ist der Sopran von Natascha Dwulecki als Margarethe, sie spielt überzeugend zwischen Koketterie, Schüchternheit und Aufbegehren. Titus Witt als Mephisto räumte einmal mehr im Allee Theater zu Recht den größten Applaus ab. Der gebührt aber auch dem wendigen Musiker-Sextett und dem ebenso espritvollen wie sensiblen Dirigenten und Arrangeur Ettore Prandi. – Eine unterhaltsame, aber auch zum Nachdenken anregende Variante der Originalversion von Charles Gounods „Faust“.

„Faust“ weitere Vorstellungen Fr 14.10. bis So 20.11., Hamburger Kammeroper im Allee Theater (Bus 15, 20, 25), Max-Brauer-Allee 76, Karten ab 36,50, www.theater-hamburg.org